Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
einer Knochenkrankheit litt. Soufan bemerkte auch, dass Abu Dschandal das Gebäck ablehnte, das mit dem Kaffee serviert wurde. Er gab zu, Diabetiker zu sein. Dies waren kleine Offenbarungen, die Soufan verwenden konnte, um den Gefangenen zur Identifizierung der Flugzeugentführer zu bewegen.
Am nächsten Abend brachten die Amerikaner zuckerfreie Waffeln mit. Abu Dschandal wusste die Geste der Freundlichkeit zu schätzen. Soufan gab ihm auch eine Geschichte der Vereinigten Staaten in arabischer Sprache zu lesen.
Soufan verunsicherte Abu Dschandal: Dies war ein Muslim, der mit ihm über Religion diskutieren konnte, der für das FBI arbeitete, der Amerika liebte. Abu Dschandal verschlang rasch die historische Abhandlung, die Soufan ihm gegeben hatte. Er war fassungslos, als er von der amerikanischen Revolution und vom leidenschaftlichen Kampf gegen die Tyrannei erfuhr, der untrennbar mit der amerikanischen Geschichte verbunden war. Sein Weltbild beruhte auf der Annahme, dass die Vereinigten Staaten der Ursprung alles Bösen in der Welt seien.
Soufan versuchte, die Grenzen von Abu Dschandals moralischer Landkarte zu bestimmen. Er fragte ihn nach der richtigen Methode, den heiligen Krieg zu führen. Abu Dschandal sprach bereitwillig darüber, wie ein Krieger seinen Gegner im Kampf zu behandeln habe. Koran und Hadit enthalten zahlreiche Anweisungen zum ehrenhaften Verhalten im Krieg.
Soufan wollte wissen, wo im Koran Selbstmordanschläge gut geheißen wurden.
Abu Dschandal erwiderte, der Feind sei waffentechnisch überlegen, aber der Selbstmordattentäter gleiche das Kräfteverhältnis aus. „Diese Männer sind unsere Raketen“, sagte er.
Soufan setzte nach: Was war mit Frauen und Kindern? Mussten sie nicht verschont werden? Er verwies auf die Bombenanschläge auf die amerikanischen Botschaften in Ostafrika. Er erinnerte sich an eine tote Frau, die in einem ausgebrannten Bus vor der Botschaft in Nairobi gefunden worden war: Sie hielt ihr verkohltes Baby in den Armen, das sie vergeblich vor den Flammen zu schützen versucht hatte. Welche Sünde hatte diese Mutter begangen? Was war mit der Seele ihres Kindes?
„Gott wird sie im Jenseits belohnen“, antwortete Abu Dschandal.
„Und übrigens“, fügte er hinzu, „können Sie sich vorstellen, wie viele Männer sich Bin Laden nach den Anschlägen auf die Botschaften anschlossen? Es strömten Hunderte herbei, die Märtyrer werden wollten.“
Aber viele der Opfer in Kenia und Tansania, wahrscheinlich die große Mehrheit, seien Muslime gewesen, hielt ihm Soufan entgegen. Die Diskussion wurde hitziger. Abu Dschandal griff mehrfach auf Erklärungen bestimmter islamischer Autoritäten zurück oder zitierte Suren aus dem Koran, aber er musste feststellen, dass ihm Soufan in der theologischen Debatte mehr als gewachsen war. Nun erklärte Abu Dschandal, dass die Opfer ohnehin keine rechtgläubigen Muslime gewesen seien, da die Anschläge auf die Botschaften am Freitag verübt worden seien, zu einer Zeit, da sich rechtschaffene Muslime in der Moschee aufhielten. Dies war ein typisches takfirisches Argument. Nun wusste Soufan zumindest, wo sein Gegenüber die moralischen Grenzen zog.
In der fünften Nacht warf Soufan ein Nachrichtenmagazin auf den Tisch zwischen ihnen. Die Zeitschrift enthielt Fotos von den Flugzeugen, die beim Aufprall auf die Zwillingstürme und das Pentagon explodierten, und schreckliche Bilder von den in den Türmen gefangenen Menschen und von Verzweifelten, die sich hunderte Stockwerke in die Tiefe stürzten. „Das ist das Werk Bin Ladens“, sagte Soufan.
Abu Dschandal hatte schon von den Anschlägen gehört, aber er kannte keine Einzelheiten. Der studierte die Bilder mit ungläubigem Gesichtsausdruck. Er sagte, es sehe aus wie eine „Hollywood-Produktion“, aber das Ausmaß der Grausamkeit erschütterte ihn sichtlich. Zu jener Zeit wurde noch von zehntausenden Toten ausgegangen.
Neben Soufan und Abu Dschandal saßen McFadden und zwei jemenitische Untersuchungsbeamte in dem kleinen Verhörraum. Alle Beteiligten hatten das Gefühl, dass Soufan seinem Ziel nahe sei. Amerikanische und alliierte Truppen bereiteten sich auf einen Feldzug in Afghanistan vor, warteten aber noch auf Informationen über die Struktur von al-Qaida, die genaue Lage ihrer Verstecke und ihre Fluchtpläne. Die amerikanischen Geheimdienste hofften, Soufan und seine Kollegen würden all diese Informationen liefern.
Zufällig lag auf einer Ablage unter dem Kaffeetisch eine
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