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Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007

Titel: Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Wright
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Gruppen in Ägypten dazu aufgerufen wurden, dem iranischen Beispiel zu folgen. Die schlagartige Umwandlung eines relativ wohlhabenden, mächtigen und modernen Landes wie Iran in eine strenge Theokratie zeigte den Islamisten, dass ihr Traum durchaus Wirklichkeit werden konnte, und beflügelte ihren Tatendrang. 31
    Der Islamismus war mittlerweile zu einer breiten und vielfältigen Bewegung herangewachsen; er umfasste Gruppen, die bereit waren, sich innerhalb eines politischen Systems zu betätigen, wie die Muslimbrüder, und Organisationen wie jene von Sawahiri, die den Staat zerstören und eine religiöse Diktatur errichten wollten.
    In erster Linie geht es den Islamisten darum, das islamische Recht, die Scharia, durchzusetzen. Sie vertreten die Auffassung, dass jene 500 Koranverse, die den Kern der Scharia bilden, die unveränderlichen Gebote Gottes seien und einen Weg zurück zur Vollkommenheit des Propheten und dessen unmittelbaren Nachfolgern weisen können - obwohl dieses Rechtssystem erst einige Jahrhunderte nach dem Tode Mohammeds entwickelt wurde. In diesen Versen werden detaillierte Verhaltensregeln für eine Vielzahl von Bereichen aufgestellt, und sie enthalten Aussagen etwa zu der Frage, wie man auf jemanden reagieren soll, der niest, oder ob es statthaft sei, goldenen Schmuck zu tragen. 32 Sie schreiben auch Strafen für bestimmte Vergehen vor, wie etwa für Ehebruch und das Trinken von Alkohol, nicht aber für Verbrechen wie Mord. Nach Ansicht der Islamisten könne die Scharia nicht an die heutige Zeit angepasst werden, obwohl sich in den 15 Jahrhunderten seit ihrer Entstehung ein weitreichender gesellschaftlicher Wandel vollzogen hat, denn sie sei unmittelbar aus dem Geiste Gottes hervorgegangen. Sie wollen die lange Tradition der Rechtsauslegung durch muslimische Gelehrte umgehen und ein authentischeres islamisches Rechtssystem schaffen, das unberührt ist von westlichen Einflüssen oder Veränderungen, die durch die Auseinandersetzung mit der Moderne herbeigeführt wurden. Nicht-Muslime und muslimische Modernisierer vertreten dagegen die Ansicht, dass die Vorschriften der Scharia den Verhaltenskodex der Beduinenkultur widerspiegeln, in der diese Religion entstanden ist, und nicht mehr für eine moderne Gesellschaft taugen. Unter Sadat hatte sich die Regierung wiederholt den Zielen der Scharia verpflichtet, doch Sadats Handlungen zeigten, wie wenig man diesen Bekenntnissen Glauben schenken konnte.
    Sadats Friedensabkommen mit Israel einte die zerstrittenen islamistischen Gruppen. Ihre Empörung wurde zudem durch ein neues Gesetz geschürt, für das sich die Präsidentengattin Dschihan eingesetzt hatte und das Frauen ein Recht auf Scheidung einräumte, ein Recht, das im Koran nicht vorgesehen ist. In seiner letzten Rede spottete Sadat über die islamische Tracht, die von frommen Frauen getragen wurde; er bezeichnete sie als „Zelt“und verbot das Tragen des Nikab an den Universitäten. 33 Die Radikalen beschimpften den Staatspräsidenten daraufhin als Ketzer. Nach islamischem Recht ist es verboten, sich gegen einen Herrscher zu erheben, sofern er an Gott und den Propheten glaubt. Die Einstufung Sadats als Häretiker war ein unverblümter Aufruf zu seiner Ermordung.
    Nach mehreren Demonstrationen, die von den Islamisten organisiert worden waren, löste Sadat alle religiösen Studentenvereinigungen, vor allem die Gamaa Islamija, auf, beschlagnahmte deren Vermögen und schloss ihre Sommerlager. 34 In Abkehr von seiner Politik der Tolerierung oder gar Förderung dieser Gruppen verkündete er einen neuen Leitsatz: „Keine Politik in der Religion und keine Religion in der Politik.“ 35 Für die Islamisten hätte es kaum eine provozierendere Formulierung geben können.
    Sawahiri strebte nicht nur den Sturz des Staatspräsidenten an, sondern die völlige Beseitigung der bestehenden Ordnung. Insgeheim hatte er Offiziere der ägyptischen Armee für seine Ziele gewonnen und wartete nun darauf, dass al-Dschihad genügend Leute und Waffen besaß, um losschlagen zu können. Sein Chefstratege war Aboud al-Sumar, ein Oberst des Militärgeheimdienstes, der sich 1973 im Jom-Kippur-Krieg gegen Israel einen Namen gemacht hatte (in Kairo war daraufhin eine Straße nach ihm benannt worden). Sumars Plan sah die Ermordung der wichtigsten Vertreter der politischen Führung vor sowie die Besetzung der Hauptquartiere der Armee und des Geheimdienstes, der Telefonzentrale und natürlich der Rundfunk- und Fernsehstationen, über

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