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Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007

Titel: Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Wright
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davongekommen; andere seien beschossen worden, doch die Kugeln seien nicht in ihre Körper eingedrungen. 31 Das Sterben war noch mit viel größeren Wundern verbunden. Als ein geliebter Mudschahid starb, hörten die Sanitäter im Wagen das Geräusch von summenden Bienen und zirpenden Vögeln, obwohl es Nacht war und sie sich mitten in der afghanischen Wüste befanden. 32 Die Leichname von Märtyrern, die ein Jahr nach ihrem Tod aus ihren Gräbern geborgen wurden, rochen noch immer frisch und ihr Blut war noch immer flüssig. Der Himmel und die Natur verbündeten sich, um die gottlosen Invasoren zu vertreiben. Engel ritten auf dem Rücken von Pferden in die Schlacht, und fallende Bomben wurden von Vögeln abgefangen, die vor den Kampfflugzeugen herflogen und einen schützenden Schirm über den Kämpfern bildeten. Diese fantastischen Geschichten verbreiteten sich naturgemäß umso schneller, je mehr sich herumsprach, dass Scheich Abdullah jedem Mudschahid Geld zahlte, der ihm eine wundersame Begebenheit zutrug. 33
    Die Verlockung eines ruhmreichen und sinnerfüllten Todes war besonders stark in jenen Ländern, in denen den Menschen durch Unterdrückung seitens der Regierung und wirtschaftliche Not jede Freude am Leben genommen wurde. Vom Irak bis nach Marokko hatten die arabischen Regierungen die Freiheit erstickt und sich als unfähig erwiesen, Wohlstand für alle zu schaffen, während zugleich in fast allen anderen Teilen der Welt die Demokratie auf dem Vormarsch war und die Einkommen der Menschen wuchsen. Saudi-Arabien, das reichste arabische Land, war derart unproduktiv, dass es sich neben den immensen Ölvorkommen keine weitere Einnahmequelle hatte erschließen können; wenn man die Öleinnahmen der Golfstaaten außer Betracht ließ, exportierten die 260 Millionen Araber weniger Güter als die fünf Millionen Finnen. 34 Radikalismus gedeiht gewöhnlich in der Kluft zwischen steigenden Erwartungen und schwindenden Möglichkeiten. Dies gilt in besonderem Maße dort, wo man es mit einer jungen, arbeitslosen und gelangweilten Bevölkerung zu tun hat; wo die Kunst verkümmert ist; wo die Unterhaltungsmedien - Kinos, Theater und Musik - kontrolliert werden oder fehlen; und wo jungen Männern der besänftigende und ausgleichende Umgang mit Frauen verwehrt wird. Eine hohe Analphabetenrate bei Erwachsenen war kennzeichnend für viele arabische Länder. Die Arbeitslosigkeit war hier am höchsten unter allen Entwicklungsländern. Wut, Verbitterung und das Gefühl der Demütigung trieben viele junge Araber dazu, nach drastischen Gegenmitteln zu suchen.
    Das Märtyrertum versprach diesen jungen Männern eine ideale Alternative zu einem Leben, das ihnen so wenig zu bieten hatte. Ein ruhmreicher Tod lockte den Sünder, dem vergeben werden würde, so hieß es, sobald er seinen ersten Spritzer Blut vergoss, und er würde bereits vor seinem Tod seinen Platz im Paradies erblicken. Zudem würde 70 Angehörigen seines Haushalts wegen seines Opfers das Höllenfeuer erspart bleiben. Einem Märtyrer, der arm ist, werde im Himmel eine Juwelenkrone aufgesetzt werden, die kostbarer sei als die Erde insgesamt. Und für jene jungen Männer, die aus Kulturen stammten, in denen die Frauen den Blicken entzogen und unerreichbar sind für Männer ohne Zukunftsaussichten, hielt das Märtyrertum die Sinnenfreuden der 72 Jungfrauen bereit, der „dunkeläugigen Huris“, wie sie im Koran genannt werden, „keusch wie verborgene Perlen“. Sie erwarteten den Märtyrer zu einem Festmahl mit Fleisch und Obst und köstlichem Wein.
    Die Verheißungen des Märtyrertums, die Assam vor seinem internationalen Publikum so packend schilderte, schufen jenen Todeskult, der später ein zentrales Merkmal von al-Qaida darstellen sollte. Für die Journalisten, die über den Krieg berichteten, waren die arabischen Afghanen ein Nebenaspekt, eine eigenartige Sondertruppe mit einer ihnen seltsam anmutenden Todessehnsucht. Wenn ein Kämpfer starb, beglückwünschten ihn seine Kameraden und weinten, weil sie nicht auch im Kampf gefallen waren. Diese Szenen erschienen anderen Muslimen eher befremdlich. Die Afghanen kämpften um ihr Land, nicht für das Paradies oder eine idealisierte islamische Gemeinschaft. Für sie besaß der Märtyrertod nicht diesen hohen Stellenwert.
    Rahimullah Jussufsai, der Büroleiter der pakistanischen Tageszeitung News in Peschawar, berichtete von einem Angriff auf ein Lager der arabischen Afghanen in Dschalalabad. Die Araber hatten am vorderen

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