Der Tod wirft lange Schatten
sagen Sie mir bitte, weshalb ich Sie aufsuchen sollte. Gibt es etwa Neuigkeiten bezüglich der Lagerhalle?«
Laurenti schüttelte den Kopf und schob das Aufnahmegerät samt Mikrofon in die Mitte des Tisches. Er sprach zuerst Ort, Datum und Uhrzeit hinein. Mia zuckte unmerklich zusammen, als er dann »Mordsache Angelo Bernardi« hinzufügte und sie selbst als verdächtige Tatzeugin bezeichnete. Sie bemerkte nicht, daß Laurenti bluffte und nicht einmal eine Kassette eingelegt hatte.
»Wo waren Sie am Abend des...?« Er nannte Datum und möglichen Zeitraum des Todes von Angelo.
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?« Mia fuhr sich mit beiden Händen entrüstet durch die Haare.
»Ich habe eine klare Frage gestellt.«
»Aber Sie sprechen mit der falschen Person.« Ihr Blick lag zwischen Verzweiflung und Entrüstung.
»Calisto hat erklärt, daß er an jenem Abend nicht mit Ihnen zusammen war. Also?«
»Ich war zum Abendessen in der Trattoria ›Da Gigi‹ in Servola und bin anschließend früh zu Bett gegangen.« Mia hatte das Lokal seit ihrer Ankunft wiederholt aufgesucht. Selbst wenn er dort nachfragte, könnte sie die Auskunft immer als Irrtum darstellen.
»Was haben Sie gegessen?«
»Wie bitte?« Mia starrte ihn ungläubig an.
»Sie haben ein Verhältnis mit Calisto. Aber Sie hatten ebenfalls eines mit Angelo.«
»Das ist nicht wahr.«
»Es gibt Zeugenaussagen.«
»Lügen.«
Laurenti schüttelte den Kopf. »Sie sind gewiß nicht die einzige, die mehrere Beziehungen nebeneinanderher pflegt.« Er wußte schließlich, wovon er redete. »Das ist kein Verbrechen.«
»Aber es stimmt nicht. Angelo hätte es zwar gerne gewollt, doch er war nicht mein Typ.« Wieder fuhr sie sich mit den Händen durch die Haare.
»Reißen Sie sich doch nicht die Haare aus, nur weil Sie ein paar Fragen beantworten müssen. Weshalb sind Sie so nervös?«
»Wären Sie das etwa nicht, wenn man Ihnen einen Mord unterstellte, den Sie nicht begangen haben? Ich werde überhaupt nichts mehr sagen.«
»Wer sagt denn, daß ich Sie deshalb verdächtige? Aber falls Sie einen Anwalt wollen, kann ich Ihnen einen nennen. Sie brauchen es nur zu sagen. Calisto hat es getan. Sie sind lediglich Mitwisserin. Es ist doch idiotisch, einen solchen Kerl zu schützen. Warum nur machen Sie sich das Leben schwer? Lieben Sie diesen Halunken wirklich so sehr, daß er Ihnen solche Scherereien wert ist?«
»Und wie hat er es getan?« Mia fühlte sich wieder etwas sicherer und konnte ein süffisantes Lächeln nicht unterdrücken.
»Er hat Angelo aus Eifersucht mit einem Ohrring erstickt.« Laurentis Blick traf Mias Ohrläppchen. Daran hatte er bisher noch gar nicht gedacht. Sie trug zwei Anhänger aus Bernstein, die im Licht funkelten. Das Zeug war Massenware, wie jener Klunker, den der Gerichtsmediziner aus Angelos Luftröhre herausgeschnitten hatte. Laurenti stand auf, ging zu seinem Schreibtisch hinüber und suchte aus der Dokumentation den Fotoabzug heraus. »Es war Ihr Ohrring«, sagte er und legte das Foto auf den Tisch. »Er hat ihn unbemerkt gestohlen. Eine perfide Tat. Wer könnte schon dahinterkommen.«
Mia schaute ihn mit großen Augen an und zögerte einen Augenblick. »Sie versuchen, mich zum Narren zu halten«, sagte sie schließlich. »Solch absurdes Zeug habe ich noch nie gehört. Wie kann man jemanden mit einem Ohrring ersticken?«
»Ich sagte doch, Calisto ist ein perfides Schwein. Er will es Ihnen in die Schuhe schieben.« Es wurde eng, die Kleine hatte sein Spiel durchschaut, und er mußte ein schärferes Geschütz nachlegen. »Außerdem hat er eine Ihrer Unterhosen dortgelassen, um die Fährte auf Sie zu lenken. Er liebt Sie nicht.«
Mia stand in dem Moment auf, als Sgubin hereinkam und Laurenti einen Zettel in die Hand drückte. »Sie sind verrückt geworden«, sagte sie.
»Welche Marke tragen Sie?«
»Sie spinnen!«
»Toute de Suite.«
»Lauter sinnlose Erfindungen. Bisher war ich davon überzeugt, mit einem klardenkenden, freundlichen Menschen zu tun zu haben, dessen Kompetenz unangefochten ist, doch jetzt reichts.« Sgubin hörte wortlos zu. Die Australierin hatte seinen Chef also auch durchschaut. Sie wandte sich zur Tür, und Laurenti gab Sgubin ein Zeichen, ihren Abgang zu verhindern.
»Vielleicht waren Sie es doch selbst. Angelo kam Ihnen zu nahe und Sie wehrten sich. So ist es passiert.«
Die plötzliche Stille knisterte zwischen ihnen. Keiner ließ den anderen aus dem Auge. Mias Hand suchte nach der Türklinke, doch
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