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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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Rathausarkaden und ließen sie nicht aus den Augen. Hatten es die Neofaschisten etwa auf die Taubstummen abgesehen? Sollte er die Polizei verständigen? Galvano bezahlte, gab dem Hund mit zwei Worten die Zeitschrift zum Apportieren zurück, und klaubte die Tüten und den Koffer auf. Er hatte es nicht weit nach Hause, und in zehn Minuten käme auch schon die Übersetzerin, um den zweiten Teil von Irinas Aussage zu dolmetschen. Als sein Blick auf den Golf von Triest fiel, sah er die schwarze Wolkenfront, die sich im Westen zusammengebraut hatte. »Ein Gewitter wäre nicht schlecht«, dachte Galvano. Dann fiel ihm ein, daß er nichts zu essen zu Hause hatte. Sein Kühlschrank gähnte meist vor kühler japanischer Ästhetik: In einem Fach ein versteinertes Stück Parmesan, das man nur noch mit dem Preßlufthammer kleinbekäme, ein angebrochenes Glas Senf in einem anderen und ein Becher Joghurt, der längst verfallen war. Natürlich ein paar Flaschen Wein. Ausgehen konnten sie auf keinen Fall, Irina würde sofort entdeckt werden. Sollte er später schon wieder den Pizzadienst rufen? Oder den Chinesen?
    Irina war vor dem Fernseher eingeschlafen und hatte offensichtlich einen schlechten Traum. Unruhig warf sie sich auf dem Sofa hin und her und fuhr entsetzt auf, als Galvano sie an der Schulter rüttelte. Hektisch wollte sie etwas ausdrücken, was er nicht verstand. Er zeigte ihr die Tüten und stellte sie neben Irina auf das Sofa. Als ihr der Hund die Modezeitschrift brachte, lachte sie endlich. Sie streichelte zärtlich den schwarzen Postboten. Der Köter ließ sich mit einem Ächzen ihr zu Füßen fallen und streckte genüßlich alle Viere von sich. Irina machte sich ans Auspacken, und Galvano ging rasch hinaus, als sie sich die Tasche mit der Unterwäsche vornahm. In der Küche steckte er eine Mentholzigarette an und überflog seinen Bericht. Wenn er damit zu den Carabinieri ginge, mußte alles hieb- und stichfest sein, auf den ersten Blick erkennbar, damit sie schnell handeln konnten. In Kürze würde Irina ihm mit Hilfe der Übersetzerin den Rest erzählen. Doch die Frau war bereits ein paar Minuten überfällig, wie Galvano leicht verärgert feststellte.
    Eines war klar: Laurenti würde er diesen Fall nicht anvertrauen. Der war ihm zuletzt doch zu sehr auf die Nerven gegangen. Galvano grinste bei dem Gedanken daran, wie sich Laurenti aufregen würde, wenn er per Zufall aus der Zeitung davon erfahren würde.
    Irina, die in die Küche kam, riß ihn aus seinen Gedanken. Sie trug die drei BHs in der Hand und machte lachend klar, daß es drei verschiedene Größen waren und nicht einer paßte. Dann klingelte es an der Wohnungstür. Es konnte nur die Übersetzerin sein. Er machte Irina ein Zeichen, daß sie öffnen sollte.
    *
    Mit dem letzten Transport, der morgen Triest verlassen sollte, würden seine diesjährigen Einnahmen bereits jene des gesamten Vorjahres überschritten haben, obwohl es erst Mai war. Das Geschäft lief phantastisch. Drakič erstellte zwar keine Businesspläne, weil die Branche zu viele Risiken und Unberechenbarkeiten aufwies, doch führte er aufs Komma genau Buch. Auch für ihn galt, mit eiserner Hand die Kosten zu minimieren und mit einer Mischung aus Innovation und entschiedener Abwehr aller Übernahmeversuche die Vorrangstellung im Markt zu behaupten. Freier Wettbewerb herrschte zwar nicht, aber dennoch mußte er auf der Hut sein, daß keiner seiner Leute eigene Geschäfte machte und niemand von den Konkurrenten aus anderen Ländern ihn zu verdrängen versuchte. Kündigungsschutz gab es sowieso nicht, und wer einmal versucht hatte, ihn auszutricksen, der brauchte keinen neuen Job mehr. Die Adria war groß und tief genug, um solche Probleme ein für allemal zu beseitigen, und notfalls fand sich immer auch ein Abgrund in den malerischen Hügeln Istriens, den niemand je finden oder untersuchen würde. Die Geschichte hatte gezeigt, wie man handeln mußte, wenn man sichergehen wollte.
    Viktor Drakič beendete sein Telefonat. Die Nachricht stimmte ihn zumindest in Teilen zuversichtlich, und er hatte Branka nach ihrem Bericht grünes Licht erteilt. Nur schnell sollte sie handeln. Noch einmal durfte die Sache nicht schiefgehen.
    Das Geld aus der Gepäckaufbewahrung im Triestiner Bahnhof würde Branka also beschaffen. Es hatte keine große Mühe gekostet, den Angestellten am Schalter davon zu überzeugen, die Tür zu öffnen und sie drinnen warten zu lassen, bis jemand nach dem Gepäckstück fragte.

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