Der Tod wirft lange Schatten
Antiquitätengeschäft ein paar Straßen weiter und lebte mit einer Frau mit deutschem Nachnamen zusammen.
Wenn er jetzt eine Zigarette gehabt hätte. Er legte die Füße auf den Schreibtisch. Staatsanwalt Scoglio sollte besser einen Historiker als einen Polizisten mit der Sache betrauen. Jemand, der über alle Zeit der Erde verfügte, Lust an Heimatkunde hatte und auch die über dreihundert Tagebücher lesen wollte, die der Sammler hinterlassen hatte. Doch wie konnte man über sechzig Jahre danach noch jemanden mit diesen alten Angelegenheiten erpressen? Natürlich waren die Veteranen der Repubblica di Salò und die Kollaborateure straff organisiert, doch wer von ihnen lebte eigentlich noch? Laurenti beschloß, nicht allzuviel Mühe in die Angelegenheit zu stecken. Hier könnte höchstens der Zufall weiterhelfen. Wenn er in zehn Jahren pensioniert würde und dann nichts Besseres zu tun hätte, könnte er sich immer noch damit befassen. Eine unglaubliche Quelle, um die Stadt und ihre Geschichte noch besser zu verstehen, war es auf jeden Fall. Doch jetzt Schluß damit! Sollte Galvano diese Dinge in seinen Memoiren ausbreiten.
Laurenti beschloß, einen Spaziergang durchs Getto zu unternehmen, das zwischen Questura und Piazza Unità lag und wo sich ein Antiquitätengeschäft neben dem anderen befand. Er kannte sie fast alle gut. Teils weil Laura in manchen Stammkundin war und immer wieder schöne Stücke mit nach Hause brachte, teils weil manche der Kaufleute, die mit gebrauchten Waren handelten, wiederum zu seiner eigenen treuen Kundschaft gehörten und mit der Innenansicht der Questura fast so gut vertraut waren wie er selbst. Es war eine besondere Mischung von Menschen, die dort Tür an Tür arbeiteten. Das Geschäft eines exponierten Neofaschisten, der den Behörden vor ein paar Jahrzehnten viel Arbeit gemacht hatte, lag neben dem von jüdischen Kaufleuten. Das gesamte politische Spektrum war vertreten, und ein paar wenige schafften es einfach nicht, keine krummen Geschäfte zu machen.
Laurenti schloß die Akten in seinen Schreibtisch und wollte gerade aus dem Büro gehen, als das Telefon klingelte. Živa Ravno! Sie erzählte, daß sie über eine halbe Stunde zu spät zum Ecclestone-Prozeß gekommen war. »Macht nichts, die Sache geht ohnehin in Berufung«, sagte sie. »Kleine Männer verkraften Niederlagen noch weniger als große.«
»Hast du etwas herausbekommen?«
»Worüber?«
»Über das Boot natürlich.«
»Nein.«
»Bind mir keinen Bären auf. Staatsanwalt Scoglio weiß, daß da etwas läuft, auch wenn er mir nicht sagen will, was.«
Živa schwieg.
»Ich will dir einen Tip geben«, sagte Laurenti schließlich und erzählte von Ciano, dem Mann auf dem Schlauchboot, den Sgubin dank Laurentis Foto in der Kartei wiedergefunden hatte.
Živa kombinierte sofort. »Jetzt verstehe ich, weshalb dir diese Sache keine Ruhe läßt«, sagte sie. »Es riecht nach Petrovac!«
»Und nach Drakič. Also, was weißt du über die Sache?«
»Es ist bald vorbei«, sagte Živa zögernd.
Laurenti wußte, daß es Dinge gab, die sie ihm nicht einmal im Bett sagen konnte. Es zu akzeptieren war aber etwas völlig anderes.
*
Wo blieb Irina? Und wo war die Übersetzerin? Galvano erhob sich und ging selbst zur Tür. Sie stand offen, niemand war zu sehen. Galvano war alarmiert. Im Treppenhaus fand er die Übersetzerin, die Beine halb im Aufzug. Von Irina keine Spur, doch hörte er eilige Schritte von mehreren Personen. Galvano warf einen Blick auf die Übersetzerin und sah eine Platzwunde an ihrem Kopf. Ihre Atemzüge waren regelmäßig. Sie würde bald wieder zu sich kommen. Der Alte zog sie aus dem Aufzug, und fuhr hinunter. Die schwere Haustür schlug vor seiner Nase zu. Galvano lief auf die Straße hinaus. Ein verbeulter roter Golf fuhr mit quietschenden Reifen davon. Er glaubte, auf dem Rücksitz Irina gesehen zu haben, hastete zu seinem Auto und kümmerte sich sowenig um die Beule, die er an dem vor ihm parkenden Wagen hinterließ, wie an den Kreuzungen um die Vorfahrt der anderen. Er hupte wild, als er am Ende der Via Diaz den Golf abbiegen sah und drängte sich rücksichtslos in den fließenden Verkehr. Sechs Fahrzeuge lagen zwischen ihnen, als er an der Questura vorbeikam. Am Corso Italia schaltete die Ampel auf rot. Galvano war von den vor ihm stehenden Autos hoffnungslos blockiert.
»Brutti bastardi!« schimpfte er, ließ den Wagen mit laufendem Motor stehen und rannte bis zur Kreuzung. Keuchend schnappte er nach
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