Der Tod wirft lange Schatten
Sgubin war schneller. Sie fing sich schnell wieder.
»Während meines Studiums habe ich gelernt, daß man sich ausschließlich an die Fakten halten sollte«, sagte sie scharf. »Ich will hier raus.«
»Ich hatte leider keine Gelegenheit, die Universität zu besuchen. Meine Eltern waren zu arm. Aber auch das Leben ist eine gute Schule, Mia. Sie haben gelogen. Ich habe den Beweis.« Er wedelte mit dem Papier. »Von wegen Beglaubigungen. Sie waren im Notariat, weil Sie das Haus verkauft haben.«
»Na und?« fragte Mia. »Was geht Sie das an?«
»Dann reisen Sie vermutlich auch bald ab«, sagte Laurenti und lehnte sich im Stuhl zurück. Er gab Sgubin ein Zeichen, die Tür frei zu geben.
»Ich fahre morgen für zwei Tage nach Mailand, Freunde und Bekannte besuchen. Kann ich jetzt gehen?«
»Bitte sehr, Mia. Und denken Sie über Calisto nach. Er ist nichts für Sie.«
Laurenti wartete, bis sich die Tür hinter der jungen Australierin Triestiner Abkunft geschlossen hatte, dann ging er um den Tisch herum und kniete sich auf den Boden.
»Alles in Ordnung?« fragte Sgubin und versuchte zu begreifen, was sein Chef dort suchte.
»Ja«, sagte Laurenti. Er hielt ein paar blonde Haare zwischen den Fingern, als er sich wieder erhob. Er verstaute seinen Fund in einem Plastikbeutel, schrieb Mias Name darauf und rief nach Marietta. »Bring die sofort ins Labor und sag, daß ich unverzüglich über das Resultat informiert werden möchte. Die Sache ist dringend.« Dann wandte er sich wieder an Sgubin. »Übrigens, hat dir Marietta bereits deine Nachfolgerin vorgestellt?«
»Eine Frau? Und jetzt schon?«
»Du kennst das ja. Die Linke weiß manchmal nicht, was die Rechte tut. Der Weg zum Gehirn ist lang.« Laurenti zuckte die Achseln und ging zur Tür. »Inspektor Pina, kommen Sie bitte einen Augenblick herein.«
Auch Sgubin staunte nicht schlecht, während er auf die Kleine hinunterblickte und sie verlegen willkommen hieß.
»Setzt euch«, sagte Laurenti und und wies auf den Besuchertisch. »Es ist zwar kein Job für 007«, sagte Laurenti, »da Sie aber schon einmal hier sind, sollten wir die Tatsache nutzen, daß Sie noch niemand kennt. Sie müssen jemand beobachten. Einen von uns.«
Beide horchten auf.
»Jemand, der jeden von uns kennt, bis auf Sie, Pina. Ich möchte über alle seine Schritte informiert werden. Es liegt kein konkreter Verdacht vor. Die Sache muß absolut inoffiziell behandelt werden. Sie haben nur zwei Kontaktpersonen: Sgubin und mich. Es tut mir leid, es wird vermutlich ein sehr langweiliger Job. Aber wir müssen die Chance nutzen. Sie sagten, Sie seien eine trainierte Radfahrerin?«
Pina nickte.
»Haben Sie Ihr Fahrrad mitgebracht?«
»Ja.«
Laurenti zog einen zerfledderten Plan der Touristeninformation aus der Schreibtischschublade und drückte ihn Pina in die Hand. »Für alle Fälle werde ich Sie aber gleich noch dem Chef des Streifendienstes vorstellen, auch wenn es unwahrscheinlich ist, daß Sie Unterstützung brauchen. Und dann machen Sie sich bitte unverzüglich auf den Weg.«
*
Unter Mariettas verächtlichem Blick nahm Laurenti die beiden voluminösen Akten von Pinas Platz und trug sie in sein Büro zurück. Er hatte Sgubins Nachfolgerin dem Leiter der Squadra mobile vorgestellt und darum gebeten, die Kollegen und den Streifendienst darüber zu verständigen, daß es eine Neue gab. Dann hatte er Pina der Obhut Sgubins überlassen, der sie durch die endlosen Flure führte und die Struktur des neuen Dienstortes erklärte. Schließlich gab er ihr das Foto des Mannes, den sie überwachen sollte, und fuhr sie zu der Pension, in der man sie für die ersten Tage untergebracht hatte und wo ihr Rennrad stand.
Als Laurenti die Tür zu seinem Büro schließen wollte, sah er, wie Marietta demonstrativ den Computer ausschaltete und ihren Arbeitsplatz aufräumte. Es war klar, daß sie in zehn Minuten grußlos, aber auf die Minute pünktlich verschwinden würde, nur weil er einen der seltenen Rufe nach Ordnung losgelassen hatte. Laurenti scherte sich nicht darum. Als er als junger Polizist seine erste Abteilung führen mußte, war er es, der sich bei Personalproblemen länger Sorgen gemacht hatte und manchmal nächtelang um Schlaf rang, während die Betroffenen am nächsten Morgen ausgeruht und gelassen ins Büro kamen, als wäre nichts gewesen. Doch damit war es längst vorbei. Was sollte er sich noch Gedanken um die Launen seiner Mitarbeiter machen? Und auch Marietta würde irgendwann wieder besser
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