Der Tod wirft lange Schatten
Kriegsverbrecher aus Europa geschleust. Rattenlinie, Aktion Odessa. Nicht nur Deutsche. Ehemalige Ustascha, kroatische Nazikollaborateure, hatten eine eigene Organisation aufgebaut, mit dem Ziel Tito zu stürzen. Sie wurde von Triest aus gesteuert und stand in enger Verbindung zu den Amerikanern, Gladio und auch der P2. In der allgemeinen Hysterie transferierten einige wohlhabende Triestiner schon ihr Geld in die Schweiz und schickten aufgrund der ungewissen Zukunft die Familien voraus. Das Gerücht beherrschte die Straße, und die Angst war täglicher Gesprächsstoff. Und da kommt auch dein Freund und mein Kollege ins Spiel. Ich kann dir allerdings nur sagen, was kolportiert wurde. Es heißt, daß seine Frau aus Ostdeutschland stammt und er einer von neun Stasi-Agenten in Triest war. In seinem Laden hat er nie große Geschäfte gemacht. Aber er handelte erfolgreich mit kostbarem Porzellan aus Meissen in der DDR und einer Unmenge wertvollem Zeug ostdeutscher Herkunft, an das nur wenige aus dem Westen herankamen.«
»Mein Gott!« Laurenti lachte. »Du erzählst Dinge, von denen bisher noch nicht einmal Galvano sprach.«
»Aber es war so. Wie du weißt, war mein Vater der erste Oberstaatsanwalt nach 1954. Er hat es mir erst kurz vor seinem Tod erzählt!«
Ausgerechnet jetzt klingelte Laurentis Mobiltelefon. Warum hatte er das Ding nicht abgeschaltet?
Pina, die kalabresische Karatezwergin, entschuldigte sich überaus formal für die Störung und fragte, wie lange sie noch auf der Lauer liegen müßte. Es war fast einundzwanzig Uhr und Laurenti hatte sie völlig vergessen. Die Neue berichtete im Protokollstil, daß Galvano am Nachmittag wie ein Irrer durch die Stadt gefahren war, um einen alten roten Golf zu verfolgen, in dem drei junge Leute saßen. Zwei Männer und eine Frau. Sie erzählte von Galvanos Diskussion mit einer Polizeistreife und daß er danach zwar nach Hause gefahren sei, sich aber bereits nach dreißig Minuten wieder auf den Weg gemacht habe, um zur Carabinieri-Station in der Via Hermet zu fahren, wo er etwa eine Stunde verbrachte. Danach war er zurück in die Via Diaz gekommen, in der er den Wagen geräuschvoll einparkte und dann im Haus verschwand. Man müßte dem Alten dringend das Auto wegnehmen, kommentierte Pina, der Mann sei eine Gefahr für die Allgemeinheit. »Ich bin übrigens nicht mehr der einzige Beobachter«, fuhr die Neue fort. »Seit Galvano wieder zu Hause ist, fährt alle zehn Minuten ein Wagen der Carabinieri hier vorbei. Jedesmal ein anderer. Es scheint, als hätten sie Anweisung, von ihrer üblichen Route einen Abstecher zu machen. Die fahren so langsam, daß es aussieht, als wollten sie immer in der Nähe sein«, sagte Pina.
Galvano hatte also mit den Carabinieri zu tun. Es war beruhigend, daß jetzt auch die Kollegen ein Auge auf ihn warfen. Hatte gestern nicht schon der Chef der Squadra mobile angedeutet, daß der Alte den Eindruck machte, als führte er etwas im Schilde? Zumindest hatten es die Männer aus den Streifenwagen so berichtet, die bisher auf ihn geachtet hatten. Auf jeden Fall war Galvano in Sicherheit und im Moment vermutlich der am stärksten bewachte Mann Triests – nach Staatsanwalt Scoglio.
»Wenn sonst nichts ist, dann können Sie für heute Schluß machen.« Laurenti wollte die neue Kollegin bereits nach Hause schicken.
»Sie haben nicht zufällig noch eine zweite Person zur Überwachung abgestellt, ohne mich darüber zu informieren?« Pinas Tonfall klang, als traute sie Laurenti nicht ganz.
»Nein, weshalb?« Laurenti stand auf und ging auf die Piazza hinaus. Am Tisch war es inzwischen ziemlich laut geworden. Graziella war in ein lebhaftes Gespräch mit Walter verwickelt, der sie immer wieder hell zum Lachen brachte und ihr bereits ein Glas »Magari« eingeschenkt hatte, den toskanischen Rotwein von Angelo Gaja, dessen Weltpremiere vor einer Woche in der »Malabar« stattgefunden hatte. Sie schauten Laurenti verwundert nach, als der ohne ein Zeichen verschwand.
»Ich kann mich täuschen«, sagte Pina zögerlich, »aber es kommt mir so vor, als wäre da noch jemand. Eine Frau Ende Zwanzig, dunkle, kurzgeschnittene Haare, nicht unhübsch. Durchtrainiert wie ich. Sie hat mich mit einem Motorrad überholt, als ich hinter Galvano her war. Später habe ich sie noch einmal gesehen, sie hat lange vor dem Palazzo in der Via Diaz gestanden und Galvano beobachtet, kurz nachdem er von den Carabinieri zurückkam. Es kommt mir vor, als wäre sie vom Fach. Sie geht
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