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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Bretter waren alt, hart wie Eisen und wollten dem Druck der Klaue am Ende der Brechstange einfach nicht nachgeben. Der Zimmermann, der den Mühlenboden verlegt hatte, hatte gute Arbeit geleistet. Zu gut für seinen Geschmack.
    Doch Aufgeben hätte den sicheren Tod bedeutet. Und so rammte er, hustend, unter Tränen und von Schweiß überströmt, die Klaue immer wieder in den Spalt, bis dieser groß genug war, dass er sie richtig ansetzen und das Dielenbrett lockern konnte.
    »Gelobt sei Gott!«, krächzte er, als es ihm endlich gelang, das Brett aus dem Verbund zu hebeln. Unter ihm rauschte das Wasser vorbei. Dort im Fluss lag die Rettung, und sie lag buchstäblich zum Greifen nah, nur war die Öffnung noch nicht breit genug zum Hindurchzwängen!
    Im Angesicht des drohenden Todes mobilisierte er eine Kraft, die er längst nicht mehr in sich vermutet hätte. Wie ein Berserker rammte, wuchtete und hebelte er, von Rauch und brennender Hitze umwabert, mit dem Stemmeisen ein Brett nach dem anderen aus dem Verbund. Als sich endlich das vierte Brett löste, schien die Öffnung im Boden groß genug. Er ließ das Eisen fallen, raffte seine Kutte so eng um den Leib, wie es eben möglich war, und rutschte mit den Füßen zuerst durch den Ausstieg.
    Mit der Körpermitte aber blieb er zwischen den Brettern stecken. Er strampelte, versuchte sich dünn zu machen, indem er den Bauch einzog, ruckte seitlich hin und her, packte dann mit den Händen unter die Bretter und presste sich mit letzter Kraft durch die Öffnung.
    Die eisigen Fluten des Arno empfingen ihn. Es war seichtes Ufergewässer, was ihn aber nicht davor bewahrte, der Länge nach unterzutauchen. Sein erhitzter Körper reagierte auf den eisigen Schock, indem er erneut fast die Besinnung verlor.
    Wankend und am ganzen Leib zitternd, kam er auf die Beine und taumelte durch den knöcheltiefen Schlamm ans Ufer. In der Ferne hörte er das Läuten der Feuerglocken. Hinter ihm schlugen die Flammen aus dem Dach. Die Wassermühle war zu einer einzigen, riesenhaften Fackel geworden, die in den Himmel loderte wie ein Feuer vor den Toren der Hölle.
    »Herr, strafe einen alten Sünder, aber nicht so, dass ich mir jetzt doch noch den Tod hole«, stieß er bibbernd hervor, während er triefend nass durch das Gestrüpp brach. Er musste laufen, nicht nur, um den aus dem nahen Dorf schon Herbeieilenden nicht Rede und Antwort stehen zu müssen, sondern auch, um mit Körperwärme gegen die Kälte anzugehen, die ihm bis ins Mark drang.
    Aber er lebte!

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    M it welchen Köstlichkeiten das menschliche Dasein bei all seinen zahllosen Widerwärtigkeiten doch gesegnet war! Ihm war, als sei ihm noch nie zuvor etwas Herrlicheres von all dem widerfahren, was die Welt an zeitlichen Gütern zu bieten hatte. Bis über den Kopf tauchte er ein und hielt die Luft an, so lange er konnte. Dann kam er prustend wieder hoch, streckte sich und gab sich ganz dem Kribbeln seiner Haut hin.
    Pater Angelico saß in der sala del lavabo, dem kleinen Waschsaal des Klosters, in einem schweren Holzbottich und genoss die Wärme, die ihn endlich von Kopf bis Fuß erfüllte. Zwei tüchtige Konversen hatten bei seiner Rückkehr, die einiges Aufsehen erregt hatte – war er zuvor doch auch schon auf den Straßen vielen aufgefallen –, rasch heißes Wasser aus der Küche herangeschleppt und ihm im Zuber ein Bad gerichtet.
    Das Feuer, dem er mit knapper Mühe entronnen war, erschien ihm in der wohligen, dampfenden Hitze, die ihn umhüllte und seine Haut rötete, nun fast wie ein böser Traum. Ein Wunder, dass er dort nicht bei lebendigem Leib verbrannt war! Vielleicht gar ein Fingerzeig Gottes, dass er trotz seiner tiefen Gefühlsverwirrung mit ihm doch noch nicht ganz über Kreuz lag und noch einiges mit ihm vorhatte – und wenn es nach ihm ginge, wäre das vorzugsweise die Entlarvung und Festnahme des dreifachen Mörders, der um ein Haar auch ihn auf dem Gewissen gehabt hätte. Viel hatte dazu bei Gott nicht gefehlt.
    Am liebsten wäre Pater Angelico dem Zuber gar nicht mehr entstiegen. Aber der natürliche Lauf der Dinge, in diesem Fall das viel zu schnelle Abkühlen des Wassers, sorgte dafür, dass er nicht allzu lange faul dasaß und dem Herrgott den Tag stahl.
    Er zog die frische Leibwäsche an und den sauberen Habit, den die Konversen auf eine Bank gelegt hatten, vergaß dabei jedoch nicht, sich den Stoffgurt mit seinem Dolch um den Leib zu binden. Offenbar war er dem Mörder zu nahe gekommen. Nicht auszuschließen,

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