Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
Vom Netzwerk:
erfahren, wer der Todesengel ist! So schickte er im Rhythmus seines Laufes ein Stoßgebet nach dem anderen gen Himmel.
    Noch schwiegen die Glocken der Stadt, als er die Abzweigung von der Landstraße erreichte und dem Sandweg hinunter zum Arno folgte. Die Räder schwerer Fuhrwerke hatten tiefe Spurrillen in die Erde gegraben.
    Er rannte über eine kleine Anhöhe, auf der sich einige Schirmpinien dem Himmel entgegenstreckten. Dann lag die alte Wassermühle vor ihm. Jetzt waren es nur noch etwa hundert Braccii, die er schaffen musste. Er sah sofort, dass das umliegende Gelände mit seinen Bäumen, Sträuchern und verfilzten Dickichten aus Buschwerk genügend Möglichkeiten bot, sich zu verstecken und zu beobachten, ob er auch wirklich allein kam.
    Er sah aber auch, dass jemand vorhatte, die Wassermühle wieder instand zu setzen und in Betrieb zu nehmen. Links vom Eingang stapelten sich Bretter verschiedener Länge und Breite. Davor standen zwei Sägeböcke, zu deren Füßen sich schon Sägemehl gesammelt hatte. Auf der anderen Seite, wo Gestänge und frisch gezimmerte Schaufelkästen für ein neues Wasserrad lagen, waren auch zwei hüfthohe Fässer aufgereiht, die Pech zum Abdichten enthalten mussten. Der intensive Geruch drang ihm schon entgegen, als er noch gut zwei Dutzend Schritte entfernt war. Alles deutete darauf hin, dass hier vor kurzem noch gearbeitet worden war, doch von den Arbeitern fehlte weit und breit jede Spur. Auch aus dem Innern der Mühle kamen weder Stimmen noch das Geräusch von Hämmern oder Sägen.
    Pater Angelico machte sich weiter keine Gedanken darüber, denn in dem Moment begannen die Kirchenglocken von Florenz ihren vielstimmigen Angeluschor.
    »Bei Gott, das war knapp!«, stieß er hervor und rannte durch die offen stehende Tür in die Mühle. Nach dem hellen Tageslicht erschien ihm das Halbdunkel, das ihn umfing, wie der plötzliche Einbruch der Nacht. Auch hier, im Innern der Mühle, roch es stark nach Pech. »Gerade noch …«
    Das letzte Wort brachte er nicht mehr heraus, denn in diesem Moment hörte er über sich ein Geräusch. Alarmiert blickte er hoch und sah einen pechschwarzen Schatten auf sich herabstürzen, der etwas schwang.
    Er konnte gerade noch die Arme schützend hochreißen, aber das bewahrte ihn nicht davor, von der Gestalt, die oben im Gebälk gelauert hatte, zu Boden gerissen und von einem Prügel hart am Kopf getroffen zu werden. Es folgte unverzüglich ein zweiter, wuchtiger Schlag, und das Halbdunkel in der Mühle ging über in die Finsternis der Bewusstlosigkeit.

43
    S töhnend erwachte Pater Angelico. Zäh setzte sich sein bewusstes Denken in Gang. Ihm war, als blieben die Gedanken, die sich in ihm formen wollten, auf halbem Weg in einer dickflüssigen Pechmasse stecken. Was er jedoch wahrnahm, war das scharfe Stechen in seinem Hinterkopf. Und als wäre das nicht schon Pein genug, stachen ihm auch noch glühende Nadeln ins Gesicht.
    »Folter«, war sein erster wirklich klarer Gedanke.
    Mühsam zwang er die Augenlider auf. Er schien auf Wolken zu treiben. Er blinzelte, um das Trugbild loszuwerden, doch die wabernden Wolken verschwanden nicht. Vielmehr drangen sie ihm in Mund und Nase und reizten seine Augen. Und dann hörte er das Lodern von Flammen.
    Zu Tode erschrocken riss er die Augen auf und begriff, dass die Mühle in Flammen stand. Er wollte aufspringen und weg vom Feuer, das nach ihm griff. Aber weder seine Arme noch seine Beine gehorchten ihm. Und da spürte er die Fesseln, mit denen man sie ihm zusammengebunden hatte, die Hände auf dem Rücken.
    »Hölle und Verdammnis!«, keuchte er und rettete sich vor den Flammenzungen, die schon über den Boden auf ihn zukrochen, indem er sich mehrmals um seine Achse drehte und von ihnen wegrollte. Gehetzt sah er sich um.
    Wer immer ihn hier in die Falle gelockt hatte, er hatte nichts dem Zufall überlassen. Der Mann, der ihm in der Mühle aufgelauert hatte, musste die Tür und einen Großteil der Wände zu beiden Seiten mit Pech bestrichen haben. Nur so ließ sich erklären, dass sich das Feuer in so kurzer Zeit über so weite Flächen ausgebreitet hatte. Denn er meinte sich zu erinnern, dass er noch die letzten Glockenschläge des Angelusläutens gehört hatte, als er wieder zu sich gekommen war. Aber sicher war er sich dessen nicht.
    Er verfluchte, dass er sich von der ungelenk gekritzelten Nachricht dermaßen hatte täuschen lassen und geglaubt hatte, es mit einem einfach gestrickten Arbeiter zu tun zu haben, der

Weitere Kostenlose Bücher