Der Todesengel von Florenz
ehrt Euch, aber sehe ich vielleicht so aus, als litte ich unter einem nervö…«
Tiberio Scalvetti schnitt ihm das Wort ab. »Trinkt!«, befahl er in einem Ton, der keinen weiteren Widerspruch duldete. »Redet nicht, zum Teufel, sondern leert den Becher, Pater! Ihr werdet es brauchen!«
12
M it gerafften Kutten folgten Pater Angelico und Bruder Bartolo dem Commissario in die Brandruine, wo sie über verkohlte Holzstücke, Tonscherben und nassen Bauschutt hinwegsteigen mussten.
»Pater Nicodemo ist wohl schon auf der Straße ermordet worden«, entfuhr es Pater Angelico, als sein Blick auf die dunklen, schmutzig braunen Flecken fiel, mit denen die Trümmersteine nahe der Straße gesprenkelt waren. Das war zweifellos Blut des Opfers. Wenn nicht kurz zuvor an dieser Stelle noch ein anderes blutiges Verbrechen geschehen war. Denn mit vergossenem Blut, seinem Geruch und der Art, wie es sich beim Trocknen verfärbte, kannte er sich aus, und zwar besser, als ihm lieb war.
»Ihr schaut genau hin«, sagte Tiberio Scalvetti anerkennend. »Die Blutspuren sind in der Tat eindeutig und lassen keinen anderen Schluss zu. Der Mörder hat Eurem Klosterbruder vor der Ruine die Kehle durchgeschnitten und ihn vermutlich schon während der Tat hier hereingezerrt.«
Bruder Bartolo sog scharf die Luft ein. »Allmächtiger!«, stieß er hervor und fuhr sich an die eigene Kehle, als müsse er sie vor einem ähnlich heimtückischen Überfall schützen.
»Mortui non mordent!«, rief Tiberio Scalvetti ihm zu. Die Toten beißen nicht. »Und gewöhnt Euch besser früh an den Anblick von Toten, Bruder Bartolo. Jedes Gras wird einmal Heu!«
Der Novize, schon jetzt blass um die Nase, zog ein gequältes Gesicht und presste die bleichen Lippen zusammen.
Tiberio Scalvetti wandte sich wieder Pater Angelico zu. »Der Täter hat es allerdings nicht dabei belassen, Eurem Bruder die Kehle durchzuschneiden und damit das Leben zu nehmen. Ihm ging es offensichtlich um mehr als nur einen Mord.«
»Habt Ihr eine Vermutung, wann ungefähr Pater Nicodemo den Tod gefunden hat?«
»Der rigor mortis hat sich noch nicht im ganzen Körper ausgebreitet, bislang sind nur der Oberkörper sowie Arme und Hände erfasst. Aber wir hatten eine kalte Nacht, und da Kälte den Prozess des Erstarrens bekanntlich verlangsamt, schätze ich, dass Euer Klosterbruder irgendwann zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens hier gestorben ist.«
Pater Angelico nickte wortlos. Damit blieb offen, ob Pater Nicodemo auf dem Weg zu Ser Aurelio oder auf dem Rückweg ermordet worden war.
»Aber kommt und seht selbst! Die Leiche liegt da drüben im einstigen Küchenraum«, sagte der Commissario und wies schräg nach links. »Dort hat ein Großteil der Decke den Brand relativ unbeschadet überstanden. Der Raum ist vor Wind und Wetter einigermaßen geschützt, weshalb der Mörder ihn wohl auch für den zweiten Teil seines Verbrechens gewählt hat.«
»Den zweiten Teil?«, echote Bruder Bartolo und stöhnte auf. »Heilige Muttergottes, vielleicht hätte ich doch besser in der Werkstatt bleiben und weiter Malachite zerkleinern sollen!«
Pater Angelico reagierte nicht darauf. In seinem Magen brannte das Feuer, das der heiße Gewürzwein entfacht hatte. Aber das nahm er ebenso wenig bewusst wahr wie das Gemurmel seines Novizen. Ihn beschäftigte allein, dass sein Klosterbruder an diesem trostlosen Ort kaltblütig ermordet worden war.
»Wegen der erhalten gebliebenen Küchendecke hat er ihn hierhergeschleppt?«, fragte er verständnislos. »Welchen Grund sollte er dafür gehabt haben, Commissario? Und was heißt ›zweiter Teil‹?«
»Wir hatten in den vergangenen Tagen viel Regen, und der Täter wollte offenbar sichergehen, dass seine Botschaft erhalten bleibt und weder von Windböen verweht noch von Regenschauern weggespült wird.«
Pater Angelico furchte die Stirn. Diese entsetzliche Sache wurde mit jedem Moment verwirrender. »Was sagt Ihr da? Der Mörder hat eine Botschaft hinterlassen?«
Tiberio Scalvetti blieb kurz stehen, wandte sich zu ihnen um und nickte. »Ja, und zwar eine überaus drastische und blutige. Jedenfalls hat er sich einige Zeit dafür genommen, also muss es ihm wichtig gewesen sein.«
Hastig schlug Bruder Bartolo das Kreuz und betete stumm ein Ave-Maria.
»Welcher Art ist diese Botschaft?«, fragte der Malermönch beklommen.
»Ich wünschte, ich hätte eine Antwort auf diese Frage, Pater. Der Sinn erschließt sich mir nicht so ganz. Aber vielleicht wisst Ihr
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