Der Todesengel von Florenz
Nobili zogen es vor, Klöstern erhebliche Summen zu stiften und sündhaft teure Fresken und Tafelbilder zur Ausschmückung einer Kirche oder eines Klosters in Auftrag zu geben. Konnten sie sich so doch der regelmäßigen Bittgebete der in ihrer Schuld stehenden Weltpriester und Ordensleute sicher sein, und zwar lange über ihren Tod hinaus.
Was sie eingedenk ihrer täglichen Versündigungen für zwingend notwendig hielten, um ihr Seelenheil zu retten. Dazu brachte es dem stato ihres Namens und ihrer Familie Ruhm und Ehre ein – und sie waren nun einmal nüchtern kalkulierende Kaufleute. Nicht von ungefähr lautete die Devise italienischer Geschäftsleute, auf der ersten Seite eines jeden Rechnungsbuches festgehalten: »A nome di Dio e di guadagno!« Im Namen Gottes und des Profits.
»Ja, Florenz stinkt wahrhaftig zum Himmel!«, bekräftigte Pater Angelico noch einmal grimmig, als sein Blick auf das mit Perlen bestickte, königsblaue Wams eines reichen Seidenproduzenten fiel. »Und es ist nicht allein der gewöhnliche Unrat, der einen Gestank verbreitet, von dem einem übel werden kann!«
Bruder Bartolo schwieg.
Der Malermönch seufzte schwer und fügte widerstrebend hinzu: »Andererseits muss man nicht lange suchen, um in der eigenen Umgebung Unreines zu finden. Dafür reicht schon ein offener Blick in den nächstbesten Spiegel.«
Der Novize, immer noch recht blass um die Nase, gab auch jetzt keinen Laut von sich. Er schaute ihn noch nicht einmal fragend von der Seite an, sondern blickte starr geradeaus und schwieg. Er war völlig verstört, und das in mehr als einer Hinsicht.
Wie üblich hatte Bruder Bartolo Mühe, bei dem flotten Schritt mitzuhalten, den sein Novizenmeister auch dann vorgab, wenn überhaupt keine Eile geboten war. Selbst auf dem Weg in die Via Sant’Anna hatte es keinen Grund gegeben, sich mit solcher Hast einen Weg durch das Gewimmel zu bahnen.
Pater Nicodemo war tot, mochte der Herr seiner Seele gnädig sein! Und so entsetzlich dieser gewaltsame Tod auch war, es hätte doch keinen Unterschied gemacht, ob sie nun fünf Minuten früher oder später bei seiner Leiche eingetroffen wären. Schon gar nicht, wo doch ein so mächtiger Mann wie Commissario Scalvetti am Tatort dafür gesorgt hatte, dass sich kein Unbefugter der Leiche näherte.
Aber sein Meister war und blieb ein ungewöhnlicher und schwer zu durchschauender Mann, dessen Eigenheiten in merkwürdigem Widerspruch zu den Grundsätzen eines monastischen Lebens standen und dadurch ständig Anlass zu Verwunderung und Verwirrung, manchmal sogar zu Erschrecken gaben. Wenn er nur an die Szene in der Werkstatt dachte, wo sein Meister ihrem Prior so unverfroren die …
Sie gingen gerade die breite Via del Diluvio in Richtung der Piazza di Santa Croce hinunter, als Pater Angelico den Novizen aus seinen Grübeleien holte und unvermittelt erklärte: »Wenn wir wieder im Kloster sind, werde ich dafür Sorge tragen, dass du einen anderen Novizenmeister erhältst.«
Bruder Bartolo blieb stehen und sah ihn bestürzt an. »Aber Meister, was habe ich getan, dass Ihr mich nicht länger unterrichten wollt?«, stieß er erschrocken hervor.
»Es hat nichts mit dir zu tun. Du hast dir nichts zuschulden kommen lassen, bei Gott nicht!«, versicherte Pater Angelico und zupfte an seinem Kuttenärmel, um ihn zum Weitergehen zu bewegen. »Der Grund liegt in mir. Ich kann einfach nicht länger dein Novizenmeister sein.«
»Aber warum nicht?« Bruder Bartolo verstand gar nichts.
Pater Angelico verzog missmutig das Gesicht. »Weil es mir an den Voraussetzungen fehlt, wie ich erkannt habe. Denn wie schon Ovid so treffend sagte: ›Quod parum novit, nemo docere potest!‹ « Niemand kann lehren, was er zu wenig kennt. »Und wie soll ich dich Demut und Gehorsam lehren, wo es mir doch selbst so sehr daran mangelt? Das ist mir beim Anblick von Pater Nicodemo, dessen Leben wahrlich ein beständiger Lobpreis Gottes war, bewusst geworden. Du hast jemanden wie ihn verdient.«
»Ist … ist es wegen der Sache mit unserem ehrwürdigen Vater vorhin?«, fragte der Novize vorsichtig.
Der Malermönch atmete tief durch und nickte. »Ja, auch, aber das ist es nicht allein. Dennoch hat mir mein Verhalten die Augen dafür geöffnet, dass ich nicht der Richtige bin, um deine Ausbildung zu beenden.«
Ein sorgenvoller Ausdruck trat auf das jungenhafte Gesicht des Novizen. Die Vorstellung, Pater Angelico als Novizenmeister zu verlieren, beunruhigte ihn weit mehr als alles, was
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