Der Todesengel von Florenz
er an irritierenden Eigenheiten an ihm je erlebt hatte. »Ihr mögt unseren Prior ein wenig in die Irre geführt haben, als Ihr so tatet, als könne man nicht mitten im Zermalmen der Malachite innehalten. Aber das ist doch kein Grund, um Euch nun …«
Pater Angelico winkte ab und lächelte unfroh. »Das war in deiner Gegenwart schon ungehörig genug«, fiel er ihm ins Wort. »Du wusstest schließlich, dass es keinen Unterschied macht, ob und wie lange man das Zerstoßen der Steine unterbricht.«
»Nun, ja …«
»Was viel schwerer wiegt, ist die grundsätzliche Haltung, die ich unserem Prior gegenüber an den Tag gelegt habe, und zwar in deiner Gegenwart. Das ist für einen Novizenmeister, der in allem ein Vorbild sein und die monastischen Tugenden lehren soll, die größere Verfehlung.«
»Ja, aber …«
»Cucullus non facit monachum!«, zitierte Pater Angelico. Eine Kapuze macht noch keinen Mönch! »Und schon gar nicht macht sie einen zu einem tugendsamen Klosterbruder, dem es nachzueifern gilt!«
Bruder Bartolo schwieg einen Moment nachdenklich, so als wüsste er nicht recht, ob er dem zustimmen könne. »Ihr habt keinen großen Respekt vor unserem Prior«, sagte er schließlich im Tonfall einer Feststellung, auch wenn er dabei fragend die Brauen hochzog.
Pater Angelico zögerte kurz, dann bekannte er sich zur Wahrheit. »Nein, nicht einmal bescheidenen«, gestand er das Offensichtliche ein und seufzte. »Bei der Heiligen Dreifaltigkeit, ich habe es wahrlich lange versucht, aber es will mir nicht gelingen, selbst mit innerlich geballten Fäusten und knirschenden Zähnen nicht, und mein schändliches Versagen betrübt mich mehr, als ich dir sagen kann.«
»Seid Ihr bei Eurer Gewissenserforschung denn auch zu dem Schluss gekommen, dass unseren ehrwürdigen Vater an der Zerrüttung zwischen Euch keine nennenswerte Mitschuld trifft?«, erkundigte sich Bruder Bartolo. »In unserer Ordensregel heißt es ja: ›Gehorcht eurem Oberen wie einem Vater, aber auch mit dem Respekt, der ihm aufgrund seines Amtes gebührt; andernfalls verfehlt ihr euch gegen Gott in ihm.‹«
»In der Tat!«, murmelte Pater Angelico.
»Aber dort steht auch, dass er die Richtlinien der Gemeinschaft in Ehren halten und ›in Liebe dienen‹ soll«, fuhr der Novize fort und bewies einmal mehr, dass er einen überaus wachen und hellen Geist besaß. »Und heißt Liebe nicht, darauf bedacht zu sein, dass man den anderen nicht verletzt und ihm das Leben nicht unnötig schwermacht? Meint Ihr, diesen Verpflichtungen ist der ehrwürdige Vater Euch gegenüber immer nachgekommen, so dass auch Ihr ihm den gebührenden Respekt schuldet?«
Verblüfft sah Pater Angelico ihn an. »Willst du jetzt vielleicht den advocatus diaboli für mich spielen?«
Der Novize schürzte die Lippen und zuckte die Achseln. »Wenn Ihr es erlaubt – sozusagen als spontane Überprüfung dessen, was ich bisher von Euch und meinem Meister in Bologna gelernt habe –, tue ich es gern«, schlug er vor. »Wobei ich mich jedoch lieber auf das verlasse, was Ihr mir in den letzten Monaten beigebracht habt, als auf das dünne Süppchen, das mir in meinem einstigen Kloster als geistige Kost vorgesetzt wurde.«
Pater Angelico verkniff sich das Schmunzeln, das sich auf seine Lippen drängen wollte. »Schmeicheleien, auch wenn du sie noch so raffiniert anbringst, werden dir nicht helfen, meinen Argumenten zu entkommen!«
»Davon habe ich auch nicht zu träumen gewagt, Meister«, erwiderte der Novize trocken. »Wäre es anders, wäret Ihr mir nach so vielen Monaten immer noch ein Fremder, und ich wäre Euren Unterricht nicht wert!«
Nun huschte doch der Anflug eines Lächelns über das Gesicht des Mönchs. »Schmeichelst du dir nun auch noch selbst, oder ist das dein Versuch, der Rolle des Advocatus Diaboli ein neues Gesicht zu geben?«, spottete er.
Bruder Bartolo erlaubte sich ein verhaltenes Grinsen. »Weder noch. Es war eine reine Tatsachenfeststellung. Aber nun sagt, Meister, können wir beginnen mit dem, was ich vorgeschlagen habe?«
»Nur zu!«
»Nun, dann will ich mit einer Ermahnung beginnen, die Euch nur zu gut bekannt sein dürfte und die jedem Oberen mit auf den Weg gegeben wird. Sie lautet: ›Der Klosterobere darf nichts lehren, anordnen oder befehlen als das Gebot des Herrn. Sein Befehl und seine Lehre dringe als Sauerteig der göttlichen Gerechtigkeit in die Herzen der Jünger.‹ Auch soll er sich nach unserer Regel aufgrund seiner Verantwortung vor Gott als
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