Der Todesengel von Florenz
und verhöhnt zu sehen bekommen hatte, wie es Bruder Bartolo und ihm in der Brandruine widerfahren war. Er hatte den Leichnam selbst noch einmal gewaschen, weil er den Knechten des Commissario nicht recht zutraute, das gewissenhaft getan zu haben. Anschließend hatte er ihn in einen sauberen Habit gekleidet.
Und dabei hatte er in der starren rechten Faust des Toten den Knopf gefunden. Keinen gewöhnlichen aus Holz, Horn oder Knochen, sondern einen aus aufgepolstertem Messing, mit dunkel-moosgrünem Stoff bezogen und geschmückt mit einem gerade mal daumennagelgroßen Löwenkopf, dem marzocco genannten Wappentier von Florenz.
Wie von selbst spielten seine Hände mit dem Knopf, während er die vertrauten Gebete der Totenwache murmelte und erfüllt war von Trauer, Schmerz, Abscheu, Zorn und Ohnmacht. Manchmal vermengten sie sich zu einer quälenden Kakophonie der Gefühle, die ihn auch körperlich elend machte. Sein Magen krampfte sich zusammen. Immer wieder meinte er, den metallischen Geschmack von Blut auf der Zunge zu haben.
Und ebenso quälte ihn die Frage nach dem Warum. Was, in Gottes heiligem Namen, hatte den Mörder bewogen, den Klosterbruder derart zu verstümmeln und der Sodomie zu bezichtigen? Wer immer hinter der bestialischen Tat stand, hatte eine schändliche Lüge in die Welt gesetzt. Doch aus welchem Grund, zu welchem Zweck? Oder war diese Frage sinnlos, weil der Täter geistesgestört war, wie Scalvetti annahm? Dagegen sprachen wiederum das planvolle Vorgehen und die offensichtliche Tatsache, dass der Mörder bibelkundig war, also des Lesens und Schreibens mächtig. Ein einfacher citadino, ein Einwohner der Stadt, mochte vielleicht den groben Wortlaut einer solchen Bibelstelle kennen, war aber wohl kaum in der Lage, sie einem Evangelium oder gar dem Levitikus zuzuordnen geschweige denn Kapitel und Vers exakt anzugeben. Dazu reichte es nicht, lesen und schreiben zu können – was auch nicht alle Mönche von sich sagen konnten –, man musste auch im Besitz einer Bibel sein. Und das konnten sich aus dem einfachen Volk die wenigsten leisten. Selbst eine mit beweglichen Lettern gedruckte Bibel kostete ein Mehrfaches dessen, was ein Handwerker im Monat verdiente; von den von Hand kopierten Ausgaben der Heiligen Schrift ganz zu schweigen. Die Bibel des gemeinen Volkes fand sich in Form von Fresken und Tafelbildern in Kirchen und Kapellen. Dort erzählten die Bilder in einprägsamen Szenen die göttliche Heilsgeschichte.
Von der Tür her fuhr ihm ein kühler Windhauch in den Nacken und ließ die Kerzen zu Häupten des Toten flackern. Er nahm an, sein Novize sei von seinem Latrinengang zurückgekehrt. Bruder Bartolo waren der Wein und die mit Öl bestrichenen Brotfladen nicht allzu gut bekommen; er hatte seit ihrer Rückkehr ins Kloster mit einer milden Form von Durchfall zu kämpfen.
Doch es war Vincenzo Bandelli, der in die Kapelle kam und sich auf die andere Seite des Aufgebahrten stellte, wobei seine blitzenden Augen und seine Pose nichts Gutes verhießen.
»Was habt Ihr Euch bloß dabei gedacht?«, fauchte er und hielt sich nicht damit auf, das Schweigegebot nach der Regel aufzuheben. »Bei Gott, ich bin von Euch einiges an Respektlosigkeit und mangelnder Demut gewohnt. Und jeder andere an meiner Stelle hätte Euch längst die Bußstrafen auferlegt, die Ihr verdient! Dass ich das bisher nicht getan habe, verdankt Ihr allein meiner Großmut. Aber auch die kennt Grenzen! Heute habt Ihr den Bogen wahrhaftig überspannt! Beim Haupte des heiligen Johannes, was habt Ihr Euch dabei gedacht, mir …«
Abwehrend hob Pater Angelico die Hand. »Es ist nicht nötig, dass Ihr mich daran erinnert, ehrwürdiger Vater«, erklärte er schuldbewusst, weil er zu wissen glaubte, was der Grund für die Empörung des Priors war, nämlich sein Verhalten am Morgen in der Bottega. Im Nachhinein hatte er sich dafür geschämt, weshalb er nur zu bereit war, seine Verfehlung offen einzugestehen und sich in aller Form dafür zu entschuldigen. Und natürlich durfte sich das nicht wiederholen. Es war überhaupt höchste Zeit, dass er seine persönliche Abneigung überwand und dem Prior den Respekt zollte, der ihm als Klosteroberem gebührte. Bruder Bartolo mochte den Advocatus Diaboli noch so gut gegeben haben, er hatte sich wie jeder andere in San Marco der Regel zu beugen, auf die er sein Gelübde abgelegt hatte, und musste zumindest den ernstgemeinten Versuch unternehmen, sich in Demut zu üben und zu einem besseren
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