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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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abschütteln.
    Er erklomm die von steinernen Löwen bewachte Freitreppe und betrat den Säulengang im ersten Stock, wo Tiberio Scalvetti seine Amtsräume hatte, doch er hätte sich den Weg hierher sparen können.
    »Bedaure, aber Commissario Scalvetti ist außer Haus, Padre«, teilte ihm im Vorzimmer der kleinwüchsige, rundliche segretario mit der geschmeidigen Eunuchenstimme mit. »Er ist in wichtigen Staatsgeschäften unterwegs. Wann er zurück sein wird? Nun, das weiß allein der Allmächtige!« Dass Scalvettis Sekretär offenließ, ob er mit dem Allmächtigen seinen irdischen Herrn von der Otto di Guardia meinte oder den himmlischen Schöpfer, mochte Zufall sein; so oder so passte die Bezeichnung in jeder Hinsicht.
    Pater Angelico war nicht allzu traurig darüber, den Commissario nicht anzutreffen, wusste er doch nur zu gut, dass dieser ihm höchstens ein mitleidiges Lächeln schenken würde, wenn er hörte, was der Prior ihm aufgetragen hatte. Um später guten Gewissens sagen zu können, er habe sich redlich bemüht, mit Scalvetti über die Angelegenheit zu sprechen, begab er sich hinüber nach Santa Croce, doch auch in der Colombina, der Schankstube an der Kreuzung der Via Ghibellina und Via dei Pelacani, wo er gewöhnlich seine Mahlzeiten einnahm, war der Commissario nicht anzutreffen.
    Auf dem Weg zurück ins Zentrum der Stadt bemerkte Pater Angelico die große Zahl von Schaustellern und Fahrensleuten, die auf sämtlichen Straßen und Marktplätzen ihre Buden und kleinen Bühnen errichteten. Und dann nahm er auch in den Arkadengängen rund um das weite Geviert des Mercato Vecchio die vorgefertigten Kostüme und Masken wahr, die überall vor den Läden zum Verkauf hingen. Natürlich! Nur noch wenige Tage, dann begann die Karnevalszeit! Kein Wunder, dass so viele Fremde in die Stadt strömten. In ganz Italien war bekannt, dass es vor der quaresima, der Fastenzeit, in Florenz hoch herging. Am Arno wusste man Feste zu feiern. Hier wurde der Karneval mit Umzügen, prachtvollen Maskenbällen und öffentlichen Volksbelustigungen aller Art nicht weniger aufwendig gefeiert als in Venedig! So war es auch kein Wunder, dass er den Commissario weder in seiner Amtsstube noch in seinem Stammlokal angetroffen hatte. Bei der gewaltigen Menge an fremdem Volk, das in diesen Tagen zusätzlich zu den üblichen Reisenden nach Florenz strömte, war es für die Feinde des Hauses Medici um einiges leichter, Spione und womöglich gar Attentäter an den Wachposten der Stadttore vorbei nach Florenz einzuschleusen. Die Acht von der Wache hatten gewiss alle Hände voll zu tun, genau das zu verhindern und den Schutz der Medici zu gewährleisten.
    Ohne bestimmtes Ziel und in düstere Gedanken versunken, streifte Pater Angelico durch die belebten Viertel der Stadt. Hier herrschte noch immer ein wüstes Nebeneinander von schäbigen Hütten, schmucklosen Werkstattschuppen, kastenförmigen Woll- und Seidenmanufakturen aus rotbraunem Backstein, schmalbrüstigen Mietshäusern mit fünf, sechs und mehr Stockwerken und prachtvollen Palazzi.
    Doch ganz allmählich veränderte sich das Bild. Wohin man in Florenz auch kam, ständig stieß man auf neue Baustellen. Die Stadt erlebte ein neues Baufieber, insbesondere was die Errichtung prachtvoller Patrizierresidenzen betraf. Dazu hatte die Kommune den Anstoß gegeben.
    Die Signoria hatte ein Gesetz erlassen, das jedem, der einen Palazzo errichtete, für vierzig Jahre Steuerfreiheit gewährte. Bisher hatten viele reiche Handelsherren aus Furcht vor den Buchprüfungen der Steuereintreiber nach der Devise gelebt: »Hast du was, dann bist du was – aber was du hast, das zeige lieber nicht! Denn Neid ist ein Kraut, das man besser nicht begießt!«, und sich in der hohen Kunst des Jammers über vermeintlich schlechte Geschäfte geübt. Nun aber öffneten sie ihre prallvollen Geldtruhen und steckten Tausende von Goldflorin in den Bau eines Palastes. Die Lieferanten von Marmor, Sandstein, Tuff, Ziegeln und vor allem den beliebten Kalksteinsorten pietra forte und pietra serena aus den Steinbrüchen von Santa Margherita a Montici und Monte Olivieto waren der steigenden Nachfrage kaum noch gewachsen.
    Auf seinem scheinbar ziellosen Streifzug gelangte Pater Angelico auch in das Viertel San Giovanni und fand sich dort auf einmal in der Via Chiara wieder. Erstaunt darüber, wohin sein Unterbewusstsein ihn geführt hatte, blieb er vor dem protzigen Palazzo des Wollfabrikanten und Medici-Vertrauten Marsilio Petrucci

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