Der Todesflieger
Till.
»Nur keine Umstände, ich bediene mich selbst.« Pitt kippte den Rest seines Scotch hinunter, ging hinüber zur Bar und goß sich einen neuen Whisky ein. Dann wandte er sich wieder seinem Gastgeber zu. »Soweit ich weiß, liegen die Umstände, unter denen Kurt Heibert gestorben ist, ziemlich im Dunkeln. In den deutschen Akten heißt es einfach, er sei von den Briten abgeschossen worden und in die Ägäis gestürzt. Doch nirgendwo steht verzeichnet, wer Heibert bezwungen hat.
Ebenso steht in den Akten auch nichts darüber, ob je Heiberts Leichnam gefunden wurde.«
Von Till streichelte geistesabwesend den Hund neben sich und starrte ins Leere. »Kurt führte damals seinen Privatkrieg gegen die Briten«, erklärte er endlich. »Er war wie besessen.
Von Taktik und Strategie hielt er nichts; er focht stets wie blind drauflos. Während des Kampfes fluchte und tobte er und schlug sich die Fäuste am Armaturenbrett blutig. Beim Start gab er immer Vollgas, so daß die Maschine hüpfte und schlingerte.
Die Albatros
sah jedesmal aus wie ein aufgeschreckter Vogel, wenn sie abhob. Doch wenn Kurt nicht flog, war er ein freundlicher, humorvoller Mensch, ganz anders, als ihr Amerikaner euch immer den deutschen Soldaten vorstellt.«
Pitt schüttelte bedächtig den Kopf und zeigte den Anflug eines Lächelns. »Sie müssen entschuldigen, Herr von Till, aber dieser deutsche Soldat ist uns durchaus bekannt.«
Der Alte ignorierte Pitts Bemerkung. »Ein Hinterhalt der Briten hat ihm dann schließlich das Leben gekostet. Sie hatten ihn genau überwacht und schließlich herausgefunden, daß Kurt mit Vorliebe ihre Beobachtungsballons abschoß. So richteten sie einen bereits ausgemusterten Ballon wieder her, füllten den Korb randvoll mit Sprengstoff und setzten ein paar Strohpuppen hinein. Sie versahen den Ballon mit einer Fernzündung, und dann warteten sie einfach darauf, daß Kurt auftauchte. Sie brauchten nicht lange zu warten. Am nächsten Tag überflog Kurt die alliierten Linien und sah den Ballon über dem Meer schweben. Sicherlich kam es ihm komisch vor, daß er weder unter Beschuß genommen wurde noch daß die Leute im Ballon irgendwelche Anstalten trafen, sich zu verteidigen.«
»Und er kam nicht auf die Idee, daß es sich um eine Falle handeln könnte?«
»Nein«, erwiderte von Till. »So weit dachte Kurt wahrscheinlich nicht. Er ging im Sturzflug auf den Ballon los und eröffnete das Feuer. Und dann zündeten die Engländer die Sprengladung. Es gab eine ohrenbetäubende Explosion, und die
Albatros
verschwand in einer Wand aus Feuer und Rauch.«
»Heibert ist hinter den feindlichen Linien abgestürzt?« fragte Pitt, gespannt.
»Kurt ist gar nicht abgestürzt. Er kam auf der anderen Seite der Rauchwolke wieder zum Vorschein. Seine Maschine war allerdings arg mitgenommen, und auch er selbst muß schwer verwundet gewesen sein. Er hatte sein Flugzeug wahrscheinlich nicht mehr unter Kontrolle. Jedenfalls flog er immer weiter, aufs Meer hinaus, und verschwand schließlich. Seitdem hat niemand mehr etwas von ihm und seiner
Albatros
gesehen.«
»Bis gestern zumindest nicht.« Pitt hielt den Atem an und wartete auf die Reaktion.
Von Till sah ihn jedoch nur fragend an und sagte nichts. Er schien über Pitts Worte nachzudenken.
Pitt wechselte das Thema. »Sind Sie und Heibert oft zusammen geflogen?«
»Ja, wir haben oft Patrouillenflüge zusammen unternommen.
Mehrere Male sind wir auch gemeinsam in einer zweisitzigen
Rumpler
geflogen und haben das englische Flugfeld bombardiert, das hier auf Thasos lag. Dabei war Kurt der Pilot und ich der Bombenschütze.«
»Wo war Ihre Flugstaffel denn stationiert?«
»Kurt und ich gehörten zur Jagdstaffel 73. Unser Heimatflughafen war das Xanthi Aerodrom in Mazedonien.«
Pitt zündete sich eine neue Zigarette an. »Ich möchte Ihnen für Ihre knappe und präzise Schilderung danken«, sagte er ernst.
»Sie haben nichts ausgelassen?«
»Kurt war mein bester Freund«, entgegnete von Till wehmütig. »Da vergißt man solche Dinge nicht so leicht. Ich kann Ihnen sogar das Datum und die Uhrzeit seines Todes sagen. Es war der 15. Juli 1918, neun Uhr abends.«
»Seltsam, daß niemand sonst die Umstände von Heiberts Tod kennt«, murmelte Pitt und sah von Till prüfend an. »Weder in den Archiven in Berlin noch im britischen Luftfahrtministerium in London kann man etwas darüber erfahren.«
»Mein Gott«, erwiderte von Till ärgerlich, »in den deutschen Archiven findet man nichts
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