Der Todesflieger
stießen.
Der Fremdenführer zwirbelte die Enden seines phantastischen Schnurrbarts und musterte die Gruppe etwas eingehender. Es war die übliche Mischung: dicke, pensionierte Geschäftsleute mit ihren ebenso dicken Frauen, die die Ruinen besichtigten, um damit später ihren Freunden und Bekannten zu Hause zu imponieren. Sein Blick wanderte weiter zu vier jungen Schullehrerinnen aus Kalifornien. Drei von ihnen waren höchst unscheinbar, trugen Brillen und kicherten in einem fort. Die vierte gefiel ihm schon besser. Sie war überraschend hübsch: ein großer, wohlgeformter Busen, rote Haare, lange Beine – das Idealbild einer Amerikanerin.
Ihrem Gesicht nach zu schließen, war sie ein lustiges, aufgewecktes Mädchen, einem Flirt durchaus nicht abgeneigt.
Ob er sie am späten Abend zu einer privaten Führung durch die Ruinen einladen sollte?
Gleichgültig musterte er den Rest der kleinen Schar. Sein Blick blieb an zwei Männern hängen, die sich im Hintergrund gelangweilt auf eine umgestürzte Säule niedergelassen hatten.
Sie waren ein merkwürdiges Gespann. Der kleinere von ihnen, offensichtlich ein Italiener, war von untersetzter, kräftiger Statur und erinnerte entfernt an einen Gorilla. Der andere, ein hochgewachsener, stämmiger Mann mit stechenden, grünen Augen und harten Zügen, schien intelligent und kultiviert, doch zugleich lag in seinem gelassen-selbstsicheren Auftreten etwas Gefährliches, Verschlagenes. Den Verbänden an Nase und Händen nach zu urteilen, mußte er ziemlich streitlustig sein.
Seltsam, was hatten sie hie r wohl zu suchen? Männer ihres Schlages interessierten sich sonst kaum für langweilige Ruinen.
Wahrscheinlich waren sie Seeleute, deren Schiff in Thasos angelegt hatte. Ja, so wird es sein, dachte der Fremdenführer.
»Dieses Theater wurde 1952 ausgegraben«, setzte er seinen Vortrag fort. »Es lag so tief unter dem Sand verborgen, der im Lauf der Jahrhunderte von den Bergen heruntergespült worden war, daß man zwei Jahre benötigte, um es freizulegen. Bitte beachten Sie das schöne Mosaik des Orchesterbodens. Es ist ganz aus farbigen Naturkieseln gearbeitet. Es stammt von einem gewissen Coenus, von dem wir leider nichts Genaueres wissen.«
Er legte eine weitere Pause ein, um den Ausflüglern Gelegenheit zu geben, das Blumenfenster zu betrachten, das die verblichenen, abgetretenen Steine bildeten. »Wenn Sie mir nun bitte über diese Treppe folgen wollen. Wir haben einen kleinen Fußmarsch über den nächsten Hügel zum Tempel des Poseidon vor uns.«
Pitt mimte den erschöpften Touristen und ließ sich ächzend auf den Stufen nieder. Er sah der Fremdengruppe hinterher, bis ihre Köpfe hinter der Hügelkuppe verschwunden waren. Seine Uhr zeigte 16 Uhr 30. Es war genau drei Stunden her, seit Giordino und er nach Liminas gekommen waren und sich der Führung durch die antiken Stätten angeschlossen hatten. Nun warteten sie, bis sich die anderen weit genug entfernt hatten.
Giordino lief ungeduldig auf und ab. Unter dem Arm trug er eine kleine Reisetasche. Als sie ganz sicher waren, daß niemand sie vermißte und die Führung ohne sie fortgesetzt wurde, erhob sich Pitt und deutete stumm auf den Bühneneingang des Amphitheaters.
Zum hundertsten Male zerrte Pitt an dem unbequemen Verband um seine Brust. Er mußte grinsen, als ihm dabei der kleine Schiffsarzt wieder einfiel. Der Alte hatte ihm händeringend auszureden versucht, das Schiff zu verlassen und zu von Tills Landhaus zurückzukehren, und Gunn hatte ihn dabei wortreich unterstützt. Erst als Pitt geschworen hatte, er werde die gesamte Schiffsbesatzung niederschlagen und nach Liminas schwimmen, hatte der Arzt aufgegeben und wütend die Kabinentür hinter sich zugeknallt. Zusammen mit Giordino war Pitt dann in dem alten Außenborder nach Liminas getuckert.
Glücklicherweise war der Kahn dort noch nicht vermißt worden – es wäre schwierig gewesen, dem aufgebrachten griechischen Besitzer oder der Polizei klarzumachen, daß der Bootsdiebstahl unumgänglich gewesen war.
Dann hatten sie sich in die Stadt begeben, nicht ohne noch einmal an dem Briefkasten vorbeizuschauen, an dem Pitt in der Nacht Athene festgebunden hatte. Der Esel war verschwunden.
Ganz in der Nähe hatte über einem kleinen, weißgekalkten Haus ein Schild auf das Büro der
Greek National Tourist Organisation
hingewiesen. Es war kein Problem gewesen, sich einer Führung durch die antiken Kulturstätten, darunter das Amphitheater, anzuschließen, und so
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