Der Todesflieger
er auf und sah sich vorsichtig nach dem Schiff um.
Die
Queen Artemisia
lag noch immer unbeweglich vor Anker.
Wie ein Schattenriß hob sie sich gegen den langsam heller werdenden Osthimmel ab. Nacheinander leuchteten einzelne Lampen auf, die ein trübes, weißes Licht über das Schiff warfen, vermischt mit dem grünen Schein der Steuerbordnavigationslampen. Einige Minuten lang geschah nichts weiter. Dann wurde, ohne daß irgendein Signal gegeben oder ein Befehl gerufen worden wäre, rasselnd der Anker gelichtet. Mit metallischem Klirren schlug er gegen die Ankerklüse. Im Ruderhaus ging das Licht an – es war noch immer leer. Das gibt es doch nicht! sagte Pitt sich wieder und wieder. Das kann es einfach nicht geben! Doch es kam noch gespenstischer. Leise schrillte ein Signal vom Semaphor der
Queen Artemisia
über die nachtstille See, und das Schiff setzte sich langsam in Bewegung, das Geheimnis ihrer teuflischen Ladung in ihrem stählernen Leib bergend.
Pitt spürte das von der Schiffsschraube aufgewühlte Wasser um sich her vibrieren. Aus sicherer Entfernung beobachtete er, wie das Schiff an ihm vorbeizog. Er hatte nichts zu befürchten: fünfzig Meter waren genug; kein Wachposten konnte ihn in der Dunkelheit entdecken.
Eine unsägliche Enttäuschung bemächtigte sich seiner, als er der langsam entschwindenden
Queen
Artemisia
nachblickte.
Tatenlos mußte er zusehen, wie das Schiff seinen verhängnisvollen Weg fortsetzte, an Bord genug Heroin, um die ganze Bevölkerung der nördlichen Hemisphäre high zu machen.
Er konnte es nicht aufhalten. Einhundertdreißig Tonnen Heroin!
Gott allein wußte, welch verheerende Folgen es haben würde, wenn diese unvorstellbare Menge Rauschgift tatsächlich auf den Markt geworfen würde. Wie viele Menschen würde es in Not und Verzweiflung stürzen? Wie vielen den Tod bringen? Wie viele würden fortan nur noch das erbärmliche Leben eines Fixers führen, immer auf der Jagd nach neuem Stoff, um die tödliche Sucht zu befriedigen?
Aber warum befaßte er sich eigentlich mit dieser ganzen Angelegenheit? Er riskierte Leib und Leben für eine Sache, für die er nicht bezahlt wurde und die ihn im Grunde auch gar nichts anging. Seine Aufgabe war es sozusagen, einer ms Stocken geratenen ozeanographischen Expedition wieder auf die Sprünge zu helfen, nicht mehr und nicht weniger. Warum also jagte er hinter Rauschgiftschmugglern her? War er nicht ein Idiot, wenn er glaubte, ausgerechnet
er
könnte die Gangster hinter Schloß und Riegel bringen? Er schalt sich einen Don Quichotte.
Laß doch Zacynthus, INTERPOL und alle Bullen der Welt sich mit von Till herumärgern. Es ist schließlich ihr Beruf und nicht meiner.
Dann besann er sich. Er hatte schon viel zuviel Zeit mit diesen unsinnigen Überlegungen vergeudet. Er mußte zur Küste zurück. Noch einen letzten Blick warf er auf die
Queen Artemisia,
deren Lichter allmählich in der Dämmerung verblaßten, und setzte sich in Bewegung. Als er an Land watete, erhob sich die Sonne bereits über den Horizont und warf ihre ersten Strahlen über die felsigen Gipfel der Berge von Thasos.
Pitt schnallte die Sauerstoff-Flasche ab und ließ sie zusammen mit Schnorchel und Taucherbrille in den weichen, feuchten Sand fallen. Zu Tode erschöpft, ließ er sich niedersinken. Er fühlte sich völlig zerschlagen. In seinem Kopf jedoch arbeitete es.
Er hatte an Bord der
Queen Artemisia
kein Krümelchen Heroin finden können. Auch die Zollinspektoren oder die Rauschgiftfahndung würde dort nichts entdecken, soviel war sicher.
Vielleicht verbarg man das Rauschgift unterhalb der Wasserlinie? Das war eine Möglichkeit.
Aber die Fahnder waren sicher mißtrauisch genug gewesen, im Dock auch den Rumpf des Schiffes zu untersuchen. Recht überlegt, war es überhaupt unmöglich, eine Ladung dieser Größe irgendwo auf dem Schiff zu verbergen. Und wenn das Heroin vor jedem Anlaufen eines Hafens im Meer versenkt und später wieder geborgen wurde? Doch auch das war unwahrscheinlich. Um einen hundertdreißig Tonnen schweren Container aus dem Meer zu hieven, brauchte es umfangreiche Aktionen. Und die hätten den Beschattern der
Queen Artemisia
unbedingt auffallen müssen. Nein, die Schmuggler mußten eine äußerst raffinierte Methode ausgeklügelt haben, die es ihnen ermöglichte, daß ihnen die ganze Zeit über noch niemand auf die Schliche gekommen war.
Er zeichnete mit dem Tauchermesser nachdenklich die Umrisse der
Queen Artemisia
in den feuchten Sand.
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