Der Todesflieger
von Bord sein, sein Tauchgerät übergezogen und sich bereits gute zweihundert Meter vom Schiff entfernt haben.
Plötzlich raschelte etwas hinter Pitts Rücken. Zu Tode erschrocken wirbelte er herum, und noch im selben Augenblick hatte er sein Tauchermesser hervorgezogen. Er glaubte vor Angst verrückt zu werden. Sie dürfen mich doch jetzt nicht mehr erwischen, dachte er verzweifelt, wo ich schon fast wieder in Sicherheit bin.
Aber es war nur eine Möwe, die sich auf einem Ventilator niedergelassen hatte. Der Vogel starrte Pitt aus einem Auge an und legte den Kopf schief, so, als wäre er äußerst verwundert, daß sich um diese Zeit ein Mann in Badehose auf dem leeren Schiff herumtrieb. Pitt begannen noch im nachhinein die Knie zu zittern. Matt lehnte er sich gegen die Reling und versuchte, seine Nerven wieder unter Kontrolle zu bringen. Diese schauerliche Atmosphäre, die über dem ganzen Schiff lastete, hatte ihm schwer zugesetzt. Wenn das so weiterging, würde er in Kürze entweder einen Herzinfarkt oder einen nervösen Zusammenbruch erleiden. Er holte ein paarmal tief Atem, bis sich die Angst allmählich verflüchtigte.
Ohne sich noch einmal umzudrehen, kletterte er über die Reling und ließ sich langsam die Ankerkette hinab. Erleichtert atmete er auf, als er in das kühle Wasser glitt. Es war wie das Erwachen aus einem Alptraum.
Pitt brauchte nur eine Minute, um sich seine Badehose anzuziehen und das Tauchgerät wieder anzulegen. Es war nicht ganz einfach, im Dunkeln die Sauerstoff-Flasche umzuschnallen, zumal ihn die Wellen wieder und wieder gegen den Schiffsrumpf stießen. Doch Pitt kamen die reichen Erfahrungen zugute, die er während seiner Ausbildung zum Rettungstaucher gemacht hatte – er wurde deshalb relativ leicht mit allen Schwierigkeiten fertig. Dann sah er sich nach der Holzkiste um. Doch die war inzwischen fortgeschwemmt worden; die aufkommende Flut hatte sie zurück zur Küste getrieben.
Eine Weile ließ er sich selbst auch treiben und überlegte, ob er nicht unter der
Queen Artemisia
durchtauchen und ihren Rumpf untersuchen sollte. Das merkwürdig kreischende Geräusch, das er gehört hatte, stammte, wie ihm schien, von außen, zum Beispiel vom Kiel.
Dann fiel ihm jedoch ein, daß er keine Taucherlampe bei sich hatte. Und den hundert Meter langen, mit rasiermesserscharfen Entenmuscheln besetzten Rumpf mit bloßen Händen abzutasten war zu gefährlich. Nicht umsonst war das Kielholen, mit dem früher auf britischen Schiffen die Vergehen der Matrosen geahndet wurden, eine gefürchtete Strafe gewesen. Pitt erinnerte sich an die Erzählung von dem englischen Kanonier, der 1786 vor der Küste von Timor kielgeholt worden war, weil er heimlich einen Schluck Brandy aus der Flasche des Kapitäns genommen hatte. Der arme Teufel war unter Wasser über den ganzen Kiel des Schiffes geschleift worden, bis am Ende sein Körper so zerschnitten war, daß bereits das Weiß der Rippen und der Wirbelsäule durchschimmerte. Doch hätte er das überleben können, wäre nicht vom Geruch seines Blutes ein Schwarm Mako-Haie angelockt worden. Noch bevor die Mannschaft ihn wieder an Bord hieven konnte, waren die Fische bereits über ihn hergefallen; vo r den entsetzten Augen der Männer rissen sie ihn in Sekundenschnelle in tausend Stücke.
Und das war bestimmt kein Seemannsgarn. Pitt wußte, wozu ein Hai fähig war. Er selbst hatte einmal vor der Küste von Key West einen Jungen an Land gezogen, der von eine m Hai angefallen worden war. Der Junge hatte noch gelebt, doch von seinem linken Schenkel hing das Fleisch nur noch in Fetzen herab.
Pitt fluchte vor sich hin. Er durfte jetzt keinesfalls an solche Dinge denken. In seinen Ohren begann es zu dröhnen. Fingen seine Sinne an, ihm einen Streich zu spielen? Heftig schüttelte er den Kopf. Aber das Dröhnen blieb, ja, es wurde sogar noch lauter. Dann wußte er, woher es kam.
Die Schiffsgeneratoren waren angeworfen worden. Im selben Moment wurden auch die Positionslichter eingeschaltet, und mit gewaltigem Getöse sprang der Dieselmotor der
Queen Artemisia
an. Es wurde höchste Zeit, daß Pitt sich aus dem Staub machte.
Er klemmte sich das Mundstück des Luftschlauches zwischen die Zähne und tauchte weg. Er konnte in dem tintenschwarzen Wasser nicht die Hand vor Augen sehen. Um ihn herum blubberten die aufsteigenden Luftblasen. Bei jeder Schwimmbewegung stieß er mit aller Macht die Flossen nach hinten. Nachdem er etwa fünfzig Meter zurückgelegt hatte, tauchte
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