Der Todesflug der Cargo 03
Steiger noch niedriger geflogen, hätte ihn das stählerne Hindernis womöglich in zwei saubere Hälften zertrennt. Er schauderte.
In raschem Flug schwebte die Minerva M-88 weiter über den Fluß. Wie eine Anzahl kleiner Messer drang die polare Luft durch Pitts Schutzkleidung. Seine Augen tränten, und die eisige Luft drückte sich auf sein Gesicht wie eine auf Weltraumkälte unterkühlte Kompresse.
Pitt befand sich auf einem abenteuerlichen Flug, wie ihn kein Vergnügungspark der Welt anbieten konnte.
Die Wasser des Potomac flitzten unter ihm dahin, während er mit einer Geschwindigkeit von dreihundert Stundenkilometern frei schwebend durch die Luft gezogen wurde. Wenn er zum Himmel schaute, konnte er ein bleiches Oval auf einem schwarzen Viereck erkennen – Admiral Sandeckers ängstliches Gesicht, das sich gegen den dunklen Hintergrund der offenen Luke abhob.
Dann spürte er, wie er von der Beschleunigung nach außen getragen wurde. Steiger schien die Minerva M-88 jetzt in einem steilen Bogen auf den Fluß hinunter zu zwingen. Die stählerne Nabelschnur, die mit einer mechanischen Winde im Frachtraum des Hubschraubers verbunden war, schwang zurück. Einen Augenblick lang erblickte Pitt die Berge von Vernon unter seinen Füssen. Dann, als das Kabel wieder zur anderen Seite pendelte, kam der bedrohliche Koloss der »Iowa« in Sicht. Die Geschütze des Schiffes waren von den tarnenden Holzaufbauten befreit worden und stromaufwärts, auf Washington gerichtet.
Steiger verminderte die Fluggeschwindigkeit und drückte den stählernen Vogel entschlossen in die Tiefe. Die Brücke des Schiffes kam näher.
»Mein Gott, ich bin zu schnell! Viel zu schnell!« stammelte Steiger, als er die Geschwindigkeit bemerkte, mit der der Hubschrauber über das Deck hinwegschwebte. Steiger befürchtete, dass Pitt wie das Ende eines Pendels, dem man einen besonders starken Schwung versetzt, weit über die anvisierte Landesfläche hinausfliegen würde. Seine Befürchtungen bestanden zu Recht. In einer unkontrollierten Schleuderbewegung schwang Pitt am Ende des Stahlseils über das flache Hauptdeck hinweg, das er für seine Landung in Aussicht genommen hatte. Er verfehlte die scharfe Spitze des stählernen Aufbaus um wenige Zentimeter und pendelte dann in Richtung auf den freien Teil des Decks zurück. Jetzt oder nie! dachte er. Er betätigte den Auslösemechanismus und wurde im nächsten Augenblick von der Halterung die ihn bis dahin umfangen hatte, freigegeben. Er fiel.
Vom Hubschrauber aus hatte Sandecker mit angehaltenem Atem beobachtet, wie sich Pitt plötzlich vom Endstück des Stahlkabels löste und aus seinem Blickfeld verschwand. Sekunden später war auch die »Iowa« seinem Blickfeld entrückt, weil Steiger die Minerva M-88 in steilem Winkel nach oben wegzog. Wie ein mächtiges Schwingmesser schnitten die Rotoren der Maschine in die kühle Luft und hoben Gerät und Mannschaft in einer gewaltigen Aufwärtsbewegung vom Fluss weg in die Höhen über den nahen Bergen. Als Steiger die Maschine wieder auf eine waagerechte Flugroute gebracht hatte, löste Sandecker seinen Sicherheitsgurt und ging vom Frachtraum ins Cockpit zurück. »Ist er weg?« fragte Steiger. »Ja, er ist unten«, antwortete Sandecker.
»In einem Stück oder als Marmelade?« – »Ich weiß es nicht. Wir können jetzt nur noch beten«, antwortete Sandecker.
Es war, als ob er zu sich selbst gesprochen hätte. Und Steiger war nicht sicher, ob Sandecker mit dem Gebet nicht eigentlich ein Requiem gemeint hatte.
59
Fawkes hatte den Hubschrauber kommen sehen. Es kümmerte ihn nicht besonders, dass die »Iowa« überflogen wurde. Vor allem, als er sah, dass der Hubschrauber keine Anstalten machte, das Schiff zu beschießen, sondern in einer großen Schleife wegflog und in den Bergen verschwand. Das Stahlkabel und die Konturen des menschlichen Körpers, der sich davon löste, hatte er im Zwielicht nicht erkennen können. Zumal seine Aufmerksamkeit zum gleichen Zeitpunkt von einem Boot in Anspruch genommen wurde, das mit hoher Geschwindigkeit auf die »Iowa« zuhielt. Er war sicher, dass ihm die Regierung der Vereinigten Staaten mit diesem Boot einen explosiven Willkommensgruß übermitteln wollte. »Mr. Shaba«, rief er ins Mikrofon. »Sir?«
»Alle Mann an die Maschinengewehre! Entern des Schiffes verhindern!«
Entern verhindern, wiederholte er in Gedanken. Wann zuletzt war an Bord eines Schiffes ein derartiger Befehl gegeben worden?
»Ist dies eine Übung,
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