Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
besuchen kommt?«
Neuerliches Schweigen, angefüllt mit Dingen, die Sarah nicht zu deuten vermochte.
»Mach dir darüber keine Gedanken, kleine Schwester«, sagte Theresa schließlich. Die Zärtlichkeit in ihren Worten ließ Sarah unerwartet die Tränen in die Augen schießen. Theresa streichelte Sarahs Wange. »Ich werde das nicht zulassen. Er wird dich nicht kriegen, das verspreche ich dir.«
Sarah glaubte Theresa aufs Wort. Sie schlief ein.
KAPITEL 28
»Welche Farbe, Schatz?«
Es war Sonntag, und Sarah war mit ihrer Mutter im Atelier. Sie hatte manchmal Lust, einfach dazusitzen und ihrer Mommy beim Malen oder Bildhauern zuzuschauen. Ihre Mutter sah am wunderschönsten aus, wenn sie Künstlerin war.
Dieses Gemälde war eine Landschaft. Berge im Hintergrund, davor eine große freie Wiese mit ein paar üppigen Bäumen. Die Farben waren leuchtend und surreal: Ein purpurner Himmel, buttergelbes Gras, die Sonne ein unwahrscheinliches Orange.
»Welche Farbe soll ich für die Blätter der Bäume nehmen?«, fragte Linda.
»Die echten Farben, Mommy. Aber leuchtender.«
Sarah besaß nicht das Vokabular, doch Linda verstand genau, was ihre Tochter meinte. So war es immer: Sarah sah etwas vor dem geistigen Auge und versuchte es zu beschreiben, und Linda musste herauszufinden, was sie meinte.
»Leuchtender? Du meinst heller? Wie eine Glühbirne, die heller leuchten kann?«
Sarah nickte.
»Okay.«
Linda machte sich gedankenverloren daran, Rot- und Orangetöne zu mischen.
»Gefällt dir dieses Bild überhaupt?«
»Ganz toll, Mommy! Es macht, dass ich losgehen und spielen und springen und laufen möchte.«
Missionsziel erreicht , dachte Linda zufrieden und begann, die Blätter in zu leuchtenden, zu hellen Farben zu malen. Sarah beobachtete sie dabei.
Plötzlich verharrte Linda und wurde starr. Sie hatte Sarah den Rücken zugewandt und stand dort, ohne sich zu rühren, wie zu Eis erstarrt.
»Was ist, Mommy?«
Beim Klang von Sarahs Stimme zuckte Linda zusammen; dann drehte sie sich wie in Zeitlupe um. Unendlich langsam. Als sie Sarah das Gesicht zuwandte, zuckte das Mädchen entsetzt zurück.
Linda stieß einen lautlosen Schrei aus, die Augen weit, der Mund aufgerissen, die Zähne gebleckt.
»Mommy!«
Lindas Hände flogen an die Schläfen. Der Pinsel segelte durch die Luft und bespritzte Sarah mit Blut.
Sarah sah das Bild hinter ihrer Mutter. Die Blätter an den Bäumen brannten.
Der Schrei war mit einem Mal nicht mehr lautlos. Es war ein schrecklicher Laut, als hätte jemand den Deckel von der Hölle genommen. Er spielte in Stereo, voller Echos und Hall und Wut.
»Was hast du getan? Was hast du nur getan? Was hast du nur …«
Sarah wachte auf.
»Was hast du getan?«
Der Schrei war echt. Er war hier, jetzt, in diesem Haus.
Der Fremde?
Die Tür zu ihrem Schlafzimmer stand offen.
»Dennis! O Gott! Was hast du getan, Theresa!«
Sarah begriff, dass Rebecca schrie.
Mach, dass du aus dem Bett kommst, du Angsthase! Theresa braucht deine Hilfe!
Sarah wimmerte vor Entsetzen.
Ich will nicht mehr tapfer sein müssen!
Sie weinte und zitterte vor Angst, doch sie überwand sich, aus dem Bett zu steigen. Ihre Beine schienen jemand anderem zu gehören. Sie wackelten, waren völlig kraftlos.
Sarah ging zur Tür, doch als sie dort ankam, erstarrte sie.
Was, wenn dort noch mehr
(Nichts)
lauert. Da draußen?
Was, wenn Theresa zu einer
(Nichts)
(Busterkopf )
?
Beweg dich, Angsthase. Du bist sechs. Hör auf, dich wie ein Baby zu benehmen.
Sarah schob sich nach draußen auf den Flur. Ihre Angst war jetzt so stark, dass sie schluchzte.
»Was hast du getan?«, kreischte Rebecca.
Sarahs Schluchzen wurde stärker, während sie sich zwang, weiter in die Richtung zu gehen, aus der Rebeccas Schreie kamen. Ihr lief die Nase, und die Welt verschwamm vor ihren Augen.
Ich will nicht hinsehen! Ich will das nicht sehen!
Die andere Stimme war jetzt freundlicher.
Ich weiß, dass du Angst hast. Aber du musst. Für Theresa. Sie ist deine Schwester.
Sarah nickte zur Antwort und zwang ihre Füße, sich weiterzubewegen.
Dann war sie in der Tür zu Rebeccas und Dennis’ Zimmer. Da war Theresa, auf dem Fußboden. Sie saß mit hängendem Kopf dort, ein Messer im Schoß. Es war blutverschmiert. Rebecca war nackt und völlig hysterisch, wie verrückt, und strich in hektischen Bewegungen über Dennis’ Körper. Auch sie war voller Blut.
Dennis rührte sich nicht. Seine Augen standen offen.
Schlagartig erkannte Sarah, dass
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