Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
sich die Tränen von den Wangen und nahm den Umschlag entgegen. Sie fühlte sich überwältigt, ihr war ein wenig schwindlig, und ihre Hände zitterten, als sie den Umschlag öffnete. Darin steckte eine schlichte weiße Karte. Auf der Vorderseite stand »Happy Birthday«. Sarah klappte die Karte auf und las, was dort stand.
»Einzulösen von Sarah«, las sie. »Gutschein für eine Adoption.«
Sarahs Unterkiefer sank herab. Ihr Kopf ruckte herum, und sie sah, dass Desiree und Ned lächelten, zugleich aber nervös waren, beinahe ängstlich.
»Du musst nicht, wenn du nicht möchtest«, sagte Ned mit leiser Stimme. »Aber wenn du es möchtest … Desiree und ich möchten es auch. Wir möchten, dass du für immer bei uns bleibst.«
Was passiert mit mir? Warum kann ich nicht reden?
Sarah hatte das Gefühlt, von einer Riesenwoge überrollt zu werden. Sie war ein winziges Boot auf dem Kamm einer Welle und raste hinunter ins Tal, um auf der anderen Seite wieder nach oben getragen zu werden.
Was ist los?
Dann wurde es ihr mit plötzlicher Klarheit bewusst. Das war der Teil von ihr, den sie geheim gehalten hatte, verborgen, verschlossen in einem tiefen Verlies. An einem Ort, der angefüllt war mit Nichts und Nichts und Hundeköpfen . Erstarrte Angst, gefrorene Angst, aufgetaut von einem Augenblick zum anderen. Sie durchbrach Sarahs innere Barrieren und war voller Donner und Dornen.
Sie konnte nicht sprechen, doch es gelang ihr zu nicken, unddann brach sie in Tränen aus. Es war ein furchtbares, schmerzerfülltes Geräusch. Neds Augen wurden feucht, und Desiree breitete die Arme weit aus. Sarah flüchtete sich hinein und weinte drei Jahre unterdrückter Tränen.
KAPITEL 44
Sarah und Desiree saßen auf dem Sofa, während Ned im Büro am Computer vor sich hin murmelte und Rechnungen bezahlte. Der Kuchen war aufgegessen. Selbst Pumpkin hatte ein wenig davon abbekommen. Sarah hatte es ihm heimlich zugeschoben. Der Pitbull lag vor ihr auf dem Boden, und seine Füße zuckten, während er einen Hundetraum träumte.
»Ich bin so froh, dass du bei uns bleiben möchtest, Sarah«, sagte Desiree.
Sarah blickte ihre Pflegemutter an. Desiree sah glücklich aus. Glücklicher, als Sarah sie je zuvor gesehen hatte. Es erfüllte Sarahs Herz mit Freude. Sie wurde geliebt. Nein, mehr als das: Sie wurde gebraucht! Desiree und Ned brauchten sie , um ihr Leben komplett zu machen.
Diese Erkenntnis füllte eine Leere in Sarahs Innerem, die ihr bodenlos erschienen war. Eine tiefe Kaverne in ihrer Seele, voller Dunkelheit und Schmerz.
»Es war mein Wunsch«, sagte Sarah.
»Wie meinst du das?«
»Mein Geburtstagswunsch. Was ich mir gewünscht habe, als ich die Kerzen ausgepustet habe.«
Desiree hob überrascht die Brauen. »Wow. Ist das unheimlich oder was?«
Sarah lächelte still. »Ich glaube, es ist Zauberei.«
»Zauberei.« Desiree nickte. »Das gefällt mir.«
»Desiree?« Sarah sah zu Boden, rang mit sich.
»Was denn, Liebes?«
»Ich … ist es schlimm, dass ich auf einmal meinen Dad und meine Mommy vermisse? Ich meine, ich bin so glücklich wegen der Adoption und alles. Warum bin ich dann auf einmal traurig?«
Desiree seufzte und streichelte Sarahs Wange. »Ach, Liebes. Ich glaube …« Sie zögerte. »Ich glaube, das kommt daher, dass wir nicht deine leiblichen Eltern sind. Wir lieben dich, und du gibst unserem Leben einen Sinn. Wir fühlen uns endlich wieder wie eine Familie, aber wir sind kein vollwertiger Ersatz für deine Mom und deinen Dad. Wir sind etwas Neues in deinem Herzen, aber wir nehmen ihren Platz nicht ein. Verstehst du, was ich meine?«
»Ich glaub schon.« Sie sah Desiree prüfend an. »Also macht es dich auch traurig? Wegen deinem Baby, meine ich?«
»Ein wenig. Aber es macht mich mehr glücklich als traurig.«
Sarah dachte über diese Antwort nach.
»Mich auch«, sagte sie dann.
Sie rutschte näher zu Desiree, um sich an ihre neue Mutter zu kuscheln. Sie schalteten den Fernseher ein, und kurze Zeit später kam auch Ned aus dem Büro, und alle lachten zusammen, auch wenn die Sendungen gar nicht so lustig waren. Sarah erkannte den entspannten, behaglichen Rhythmus wieder.
Das ist mein Zuhause.
»Hier?«, fragte Ned.
Sarah nickte. »Genau.«
Ned schlug den Nagel in die Wand und hängte das Bild auf. Er trat zurück und musterte es mit kritischem Blick. »Sieht gerade aus.«
Das Bild hing am Fußende ihres Bettes, genau wie in ihrem alten Zimmer bei Mom und Dad. Sarah konnte den Blick nicht von dem
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