Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
kalten, harten Augen. Die Tatsache, dass Cathy ihr glaubte, war wichtig für Sarah. Sehr wichtig.
Trotzdem. Wir verlieren dich, Sarah. Dieses Heim und dieses Leben bringen dich um. Vor meinen Augen.
»Ich habe ein paar Neuigkeiten über Theresa«, berichtete Cathy.
Aufflackerndes Interesse.
»Welche denn?«
»Sie wird in drei Wochen auf Bewährung entlassen.«
Sarah wandte den Blick ab. »Toll.« Ihre Stimme klang abwesend.
»Sie möchte dich besuchen.«
»Nein!« Die Antwort kam mit solcher Vehemenz, dass Cathy erschrocken zusammenzuckte.
Cathy wartete. Kaute auf der Unterlippe.
»Warum nicht?«, fragte sie dann.
Die Leere und Härte verschwanden aus Sarahs Augen, wichen einer nackten Verzweiflung, die Cathy schmerzte.
»Wegen ihm! «, flüsterte Sarah mit beschwörender Stimme. »Wegen dem Mörder! Wenn er weiß, dass ich Theresa liebe, bringt er sie um!«
»Sarah, ich …«
Sarah griff über den Tisch hinweg nach Cathys Hand. »Versprich es mir, Cathy! Versprich mir, dass du Theresa nicht in meine Nähe lässt!«
Cathy starrte die Elfjährige lange und schweigend an, bevor sie schließlich nickte. »Also gut, Sarah«, sagte sie leise. »Was soll ich Theresa sagen?«
»Sag ihr, ich will sie nicht sehen, solange ich hier im Heim bin. Sie wird es verstehen.«
»Bist du sicher?«
Sarah lächelte. Es war eine müde Geste. »Ganz sicher.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Aber sag ihr … es dauert nicht mehr lange. Sobald ich hier raus bin, finde ich eine Möglichkeit, mich mit ihr in Verbindung zu setzen. Und einen Ort, wo wir vor dem Fremden sicher sind.«
Das Lächeln, die Lebhaftigkeit und die Hoffnung verschwanden aus ihren Augen. Die Leere kehrte zurück. Sarah erhob sich und packte den Kuchen. »Ich muss jetzt gehen«, sagte sie.
»Möchtest du nicht erst noch die Kerze anzünden?«, fragte Cathy.
»Nein.«
Cathy blickte Sarah hinterher. Das Mädchen ging gerade und aufrecht, ein Gang, der Selbstsicherheit verriet. Trotzdem wirkte sie klein. Und so, wie sie ging, wurde dieser Eindruck noch verstärkt.
Sarah lag auf ihrer Pritsche, aß den Kuchen und betrachtete den Umschlag. Er war an sie adressiert, an die Anschrift des Heims. Es gab keinen Absender, nur eine Briefmarke und einen Poststempel.
Es war der erste Brief, den Sarah jemals bekommen hatte, und es gefiel ihr nicht.
Mach ihn auf.
Okay. Vielleicht ist er ja von Theresa.
Sie dachte beinahe jeden Tag an Theresa. Manchmal träumte sie von ihrer Pflegeschwester. Phantasien, in denen sie gemeinsam flüchteten. Die Orte, zu denen sie kamen, waren niemals dunkel. Sorgen, Ängste und Ungeheuer waren an diesen Orten nicht erlaubt.
Die Träume weckten in Sarah jedes Mal den Wunsch, ewig zu schlafen. Theresa war die Nabe, um die sich das einzige Rad aus Hoffnung drehte, das Sarah noch geblieben war.
Sie riss den Umschlag auf. Er enthielt eine einfache weiße Karte. Auf der Vorderseite stand: »An deinem Geburtstag denke ich an dich.« Sarah runzelte die Stirn und klappte die Karte auf. Im Innern war eine Zeichnung von einem Domino; daneben standen die Worte: Sei ein wildes Tier.
Die Glasur des Napfkuchens schmeckte mit einem Mal sauer. Ein Frösteln durchlief sie.
Die Karte ist von ihm .
Sarah wusste, dass es so sein musste. Es spielte keine Rolle, dass er ihr noch nie zuvor etwas geschickt hatte. Es brauchte keine Erklärung. Es war das, was es war.
Sarah starrte auf die Karte und schob sie dann in denUmschlag zurück, steckte ihn unter ihr Kopfkissen und wandte sich wieder dem Kuchen zu.
Ich verwandle mich in ein wildes Tier.
Komm her und besuch mich, und ich beweise es dir.
Ihr Grinsen war freudlos.
Ein Gutes hat das alles , dachte sie. Es kann nicht mehr schlimmer werden. Das ist doch schon mal was.
Ich weiß, was für ein törichter Gedanke das war. Selbstverständlich konnte es noch schlimmer werden. Ein ganzes Stück schlimmer. Und so kam es auch.
Karen Watson landete im Gefängnis. Ich weiß nicht genau warum, doch es überraschte mich nicht. Sie war böse. Sie hasste Kinder, und sie hatte Freude daran, Kindern das Leben schwer zu machen. Sie war wie ein großer alter Vampir, doch anstatt Blut zu saugen, saugte sie Seelen aus, und wie es aussah, hatte irgendjemand sie endlich mal dabei überrascht.
Karen hatte dafür gesorgt, dass ich nur noch zu schlechten Pflegeeltern kam. Bösen Menschen. In einigen Häusern wurde ich geschlagen. In ein paar anderen wurde ich angefasst, und das war schlimm, richtig schlimm,
Weitere Kostenlose Bücher