Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
weiterzumachen, von Tag zu Tag, und die Wahnsinnige in mir kommt immer häuf iger aus ihrem Loch. Da ist noch ein kleiner, beharrlicher Teil von mir, der sich daran erinnert, wie es war, sechs Jahre alt zu sein. Er redet immer weniger zu mir, doch wenn er es tut, dann sagt er mir, dass ich die Dingeaufschreiben soll und dass ich nach einem Weg suchen soll, Ihnen alles zu geben, Smoky Barrett.
Ich glaube nicht, dass Sie mich retten können, Smoky. Ich fürchte, ich habe zu viel Zeit in diesem Schacht verbracht, zu viel Zeit mit dem Schreiben von Geschichten, die ich hinterher wieder verbrannt habe.
Aber vielleicht schaffen Sie es ja trotzdem, den Künstler zu schnappen.
Und ihn in den richtigen tiefen schwarzen Schacht zu werfen.
Das war es so ungefähr. Der letzte Sprint auf dem weißen Papier.
Ein zerstörtes Leben?
Es kommt dem verdammt nahe, schätze ich.
Ich träume nicht mehr von Mom und Dad. Vor ein paar Nächten habe ich von Buster geträumt. Es kam ganz überraschend. Ich wachte auf und glaubte fast zu spüren, wo sein Kopf gelegen hat: auf meinem Bauch.
Doch Buster ist tot. Zusammen mit allen anderen.
Die größte Veränderung ist zugleich die tiefste:
Ich habe keine Hoffnung mehr.
ENDE ?
Ich lese die letzten Zeilen von Sarahs Tagebuch und betaste mein Gesicht. Diesmal finde ich die Tränen. Bonnie kommt zu mir und nimmt meine freie Hand, streichelt sie, bietet mir ihren Trost. Nach ein paar Sekunden wische ich mir die Tränen ab.
»Tut mir leid, Schatz«, sage ich. »Ich habe etwas gelesen, das mich traurig gemacht hat. Tut mir leid.«
Sie schenkt mir eins von jenen Lächeln, die sagen: Alles in Ordnung, wir sind am Leben, und ich bin glücklich, dass du bei mir bist.
»Okay«, sage ich und zwinge mich, ihr Lächeln zu erwidern. Ich fühle mich immer noch arg mitgenommen.
Bonnie wartet, sucht meinen Blick erneut. Als ich sieanschaue, nickt sie mir zu. Deutet zur Decke über unseren Köpfen. Es dauert einen Moment, bevor ich begreife.
»Du hast eine Idee, was wir mit Alexas Zimmer machen könnten?«
Sie nickt. Ja.
»Sag es mir.«
Sie deutet auf sich, eine Pantomime des Schlafens, schüttelt den Kopf.
»Du möchtest nicht in diesem Zimmer schlafen.«
Ein rasches Nicken. Stimmt .
Sie tut so, als hielte sie etwas in der Hand, bewegt es in streichenden Bahnen auf und ab, und ich begreife mit einem Mal, was sie mir sagen will.
Als Bonnie mir zum ersten Mal gesagt hat, dass sie Wasserfarben möchte, war ich überglücklich. Die therapeutischen Möglichkeiten waren offensichtlich. Bonnie war stumm, und vielleicht würde sie durch ihren Pinsel sprechen.
Sie malte freundliche und weniger freundliche Bilder. Landschaften. Nächte voller Mondlicht. Tage voller Regen und Grau. Es gab keinen bestimmten Trend in ihren Bildern, nur dass alle lebendig waren, ganz gleich, welches Thema sie malte. Mein Lieblingsbild war eine Darstellung der Wüste unter einer sengenden Sonne. Es war eine Mischung von spröder Schönheit. Es gab heißen, hellen, gelben Sand. Es gab blauen, strahlenden, ewig wolkenlosen Himmel. Es gab einen einzelnen Kaktus, ganz allein inmitten der Leere, stark und groß und aufrecht. Er schien weder Gesellschaft noch Beistand zu benötigen. Es war ein selbstbewusster, reservierter Kaktus. Er konnte die Sonne und die Hitze und den Mangel an Wasser ertragen, und es ging ihm trotzdem gut, danke sehr, ganz ausgezeichnet sogar. Ich fragte mich immer wieder, ob er Bonnie repräsentierte.
Seit damals hat sie sich von Wasserfarben zu Öl und Acryl weiterentwickelt. Sie verbringt jede Woche einen ganzen Tag mit Malen, in intensiver, beinahe wütender Konzentration. Ichhabe sie häufig heimlich dabei beobachtet, und ihre völlige Selbstversunkenheit rührt mich sehr. Ich kann sehen, wie die Welt um sie herum verschwindet, wenn sie malt. Ihre Konzentration richtet sich ausschließlich auf die Leinwand vor ihr, auf die Rufe in ihren Gedanken und die Bewegung ihrer Hand. Sie malt ohne Pause, ein immerwährender Marathon.
Vielleicht ist es der Akt des Malens, der therapeutisch wirkt. Vielleicht sind die Bilder zweitrangig. Vielleicht ist es nur die Tätigkeit des Pinselns.
Was auch immer, Bonnies Bilder sind gut. Sie hat Talent. Ihre Arbeiten sind von einer Lebendigkeit und Kühnheit, die jedes Bild zu etwas Zeitlosem machen.
Sie nickt, erfreut und vorsichtig zugleich. Sie streckt die Hand aus, ergreift meine, sieht mich besorgt an. Erneut dieses plötzliche, umfassende Begreifen.
»Aber nur
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