Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
einem Ort ohne Licht, ohne Gott. Ich wurde religiös erzogen, verstehen Sie? Ich wurde erzogen, an Jesus Christus zu glauben, an Gott, an die Mutter Gottes. Ich hatte Nacht für Nacht zu ihnen gebetet, voller Inbrunst, und trotzdem kamen die Männer zu mir und taten mir weh.« Er zuckt zusammen. »Ich konnte das damals nicht begreifen. Die Ganzheit von Gottes Plan. An jenem dunklen Ort, wo meine Verzweiflung am größten war, würde Gott mir einen Engel schicken.«
Er lächelt bei diesen Worten, und eine Art Leuchten ist in seinen Augen. Seine Stimme findet einen Rhythmus, wie eine Welle, die ständig anbrandet und das Ufer niemals erreicht.
»Er war etwas Besonderes, dieser Junge. Er war jünger als ich, kleiner als ich, aber irgendwie verlor er seine Seele nicht.« Sein Blick ist intensiv, er starrt mich an. »Lassen Sie mich erklären, was ich damit meine. Der Junge war erst sechs Jahre alt und sehr schön. So schön, dass die Männer ihn mehr als alle anderen missbrauchten. Jeden Tag, manchmal zweimal am Tag. Und der Junge ärgerte sie. Weil er nicht weinte. Sie wollten seine Tränen, doch er gab sie ihnen nicht. Sie schlugen ihn, damit er weinte.« Er schüttelt traurig den Kopf. »Natürlich weinte er irgendwann, jedes Mal. Trotzdem … er hat seine Seele nicht verloren. Nur ein Engel konnte diesen Männern so widerstehen.«
Gustavo schließt die Augen, öffnet sie wieder.
»Ich war kein Engel. Ich verlor meine Seele, stürzte tiefer und tiefer in die Verzweiflung. Ich wandte mich ab von Gottes Angesicht. In meiner Verzweiflung dachte ich daran, mich selbst zu töten. Ich glaube, der Junge hat es gespürt. Er kam nachts zu mir, flüsterte mir in der Dunkelheit Dinge zu, während seine Hände mein Gesicht streichelten. Mein schöner weißer Engel.
›Gott wird dich erretten‹, sagte er zu mir. ›Du musst an ihn glauben. Du darfst deinen Glauben nicht verlieren.‹
Er war erst sechs oder sieben Jahre alt, doch er sprach wie jemand, der viel älter war, und seine Worte retteten mich tatsächlich. Nach und nach erfuhr ich seine Geschichte. Er war von Gott gerufen worden, als er vier Jahre alt war. Er war fest entschlossen gewesen, im frühestmöglichen Alter dem Seminar beizutreten und sein Leben der Heiligen Dreifaltigkeit zu widmen. Eines Nachts kamen Männer, überfielen sein Zuhause, entführten ihn, entrissen ihn seiner Familie.
›Und trotzdem‹, sagte er zu mir. ›Trotzdem darfst du den Glauben nicht verlieren. Wir werden von Gott geprüft.‹ Er lächelte mich an, und es war ein so reines, seliges und frommes Lächeln, dass es mich aus meiner Verzweiflung riss, die mich zu ersticken drohte.«
Cabrera hat die Augen geschlossen, während er seine Vergangenheit ehrfürchtig noch einmal durchlebt.
»Das ging ein Jahr so. Er litt jeden Tag. Wir alle litten. In der Nacht sprach er zu uns anderen, ließ uns beten und verhinderte, dass wir uns mehr nach dem Tod sehnten als nach dem Leben.« Cabrera stockt, blickt zur Seite. »Eines Tages, eines schicksalhaften Tages rettete er nicht nur meine Seele, sondern auch meinen Leib.
Wir waren allein, nur er und ich. Wir wurden von einem Wächter zum Haus eines reichen Mannes gebracht, dem ein einzelner knabe nicht reichte. Ich zitterte vor Angst, doch der Junge, der Engel, blieb ruhig wie immer. Er berührte meine Hand, er lächelte mich an, er betete. Je länger wir fuhren, desto besorgter wurde er, weil er sah, dass seine Gebete meine Seele nicht erreichten. Ich hatte Angst, trotz seiner Worte, und meine Angst wurde immer größer, je näher wir unserem Ziel kamen, bis ich am ganzen Körper zitterte. Wir erreichten das Haus, und ohne Vorwarnung nahm er mein Gesicht in die Hände. Er küsste mich auf die Stirn und sagte mir, ich solle mich bereithalten.
›Hab keine Angst, und vertrau auf Gott!‹, sagte er zu mir.
Wir stiegen aus dem Wagen, und der Wächter ging hinter uns her. Ohne Vorwarnung drehte der Junge sich um und schlug dem den Wächter die Faust in den Unterleib. Die Wachen waren an unseren Gehorsam gewöhnt und rechneten nicht mit Widerstand, deshalb konnte er den Wächter überrumpeln. Der Mann klappte zusammen und schrie vor Schmerz und Wut.
›Lauf!‹, rief der Junge mir zu.
Ich stand da, zitterte am ganzen Leib, war nicht imstande, mich zu bewegen. Ein wehrloses Opfer.
›Lauf!‹, rief der Junge erneut, mit der Donnerstimme eines Engels, und dann fiel er über den Wächter her und biss und trat nach ihm.
Endlich begriff ich, was er
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