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Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)

Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)

Titel: Der Todeskünstler: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cody Mcfadyen
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gelesen?«
    Sie hatte gelächelt und genickt, erfreut, dass ich verstanden hatte. Dann hatte sie ein anderes Buch aus dem Regalgezogen. Grundlagen der Aquarelltechnik. Und noch eins. Kunst und Landschaften.
    »Alle?«, hatte ich Bonnie ungläubig gefragt.
    Sie hatte genickt.
    Bonnie hatte auf sich gedeutet, hatte eine nachdenkliche Miene imitiert und dann mit einer umfassenden Bewegung auf die gesamte Bibliothek gezeigt.
    Ich hatte sie angeschaut, bis es mir gedämmert hatte. »Wenn du etwas wissen willst, kommst du hierher und liest in einem Buch darüber nach?«
    Kopfnicken. Lächeln.
    Ich kann lesen und lernen, und vor allem will ich es , hatte sie mir zu verstehen gegeben. Reicht das nicht?
    Ich war nicht sicher, ob es reichte. Schule bestand schließlich nicht nur aus Lesen, sondern auch aus Schreiben und Rechnen. Okay, sie hatte das Lesen gemeistert, doch was war mit allem anderen? Abgesehen davon gab es den Sozialisierungsaspekt. Altersgenossen, Freundinnen, Jungs. Der komplexe Lernprozess, die Welt mit anderen zu teilen.
    Das alles war mir durch den Kopf gegangen. Dass Bonnie Bücher über Kunst und Malerei gelesen hatte und nun regelmäßig malte – gut malte –, hatte mich in gewisser Weise beschwichtigt, einige meiner Ängste zum Verstummen gebracht und mir erlaubt, das Problem auf ein späteres Datum zu verschieben.
    »Okay, Schatz«, hatte ich gesagt. »Vorerst.«
    Ihre geistige Frühreife zeigte sich noch auf vielerlei andere Weise, nicht nur in ihrer Malerei, beispielsweise auch in ihrer Fähigkeit, aufmerksam zuzuhören, in ihrer erstaunlichen Geduld und ihrer beinahe übernatürlichen Gabe, in emotionalen Dingen genau den Punkt zu treffen.
    Sie war noch ein Kind, doch sie war in vielen Dingen wacher als ich.
    Ich seufze. »Ich war heute bei einem Mädchen namens Sarah.«
    Ich erzähle ihr eine zensierte Version von Sarahs Geschichte. Ich verrate ihr nicht, dass Michael Kingsley Sarah zum Sex gezwungen hat, und ich verschweige die bildhaften Einzelheiten vom Tod der Kingsleys. Ich erzähle die wichtigen Dinge: dass Sarah eine Waise ist, dass sie sich von jemandem verfolgt fühlt, den sie den »Künstler« nennt, dass sie eine zutiefst verzweifelte junge Frau ist und kurz davor steht, für immer und ewig in bodenlose Dunkelheit zu stürzen.
    Bonnie lauscht mit nachdenklichem Interesse. Als ich fertig bin, sieht sie zur Seite, tief in Gedanken. Nach einer Weile wendet sie sich wieder zu mir, deutet auf sich selbst, dann auf mich und nickt. Ich brauche einen Moment, bis unsere telepathische Verständigung funktioniert.
    »Sarah ist wie wir, sagst du?«
    Sie nickt, zögert, deutet dann mit Nachdruck auf sich.
    »Mehr wie du«, sage ich.
    Ein Nicken.
    »Weil sie gesehen hat, wie die Menschen, die sie liebt, ermordet wurden? So wie du mitansehen musstest, wie deine Mom getötet wurde?«
    Sie nickt; dann schüttelt sie den Kopf. Ja , sagt sie, aber nicht nur das. Sie beißt sich auf die Unterlippe, während sie nachdenkt. Sie sieht mich an, deutet auf sich, dann schiebt sie mich von sich. Jetzt ist die Reihe an mir, sich auf die Unterlippe zu beißen. Ich starre sie an – und plötzlich begreife ich. »Sie ist so, wie du wärst, wenn du mich nicht hättest.«
    Sie nickt. Ihr Gesicht ist traurig.
    »Allein.«
    Ein Nicken.
    Mit Bonnie zu »reden« ist wie Piktogramme zu lesen. Nicht alles ist auf Anhieb ersichtlich. Symbole spielen eine große Rolle. Bonnie sagt nicht, dass sie und Sarah ein und dasselbe sind. Sarah ist ein junges Mädchen, das alles verloren hat, was ihr wichtig war, und – an dieser Stelle enden die Ähnlichkeiten –das nun allein auf der Welt ist. Sarah ist das, was ich sein könnte, wenn es keine Smoky gäbe , sagt Bonnie. Wenn mein Leben aus Waisenhäusern und Erinnerungen an meine Mom und ihren Tod bestünde und sonst nichts.
    Ich schlucke mühsam. »Ja, kleines. Das ist eine ziemlich treffende Beschreibung.«
    Auch Bonnie hat ihre Narben. Sie ist stumm. Noch immer leidet sie unter gelegentlichen Albträumen, die sie im Schlaf schreien lassen.
    Doch sie ist nicht allein.
    Sie hat mich, und ich habe sie, und das macht einen gewaltigen Unterschied.
    Ich sehe Sarah jetzt klarer vor mir. Ich höre, wie sie nachts schreit, und niemand ist da, der sie hält, wenn sie erwacht. Es ist schon sehr lange niemand mehr für sie da.
    Ein Leben, das einen dazu bringt, sich mit Schwarz zu umgeben , geht es mir durch den Kopf. Warum auch nicht? Alles ist Dunkelheit, und es ist besser, man ruft sich

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