Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
schreibe es auf. Ich schildere Ihnen einen Weg hinunter zum Wasserloch. Ich habe vor zwei Jahren mit dem Schreiben angefangen, an einer der Schulen, die ich besucht habe. Der Lehrer, ein anständiger Mann namens Mr. Perkins (Sie werden gleich erfahren, warum ich weiß, dass er ein anständiger Mann war), las die erste Geschichte, die ich jemals geschrieben habe, und bat mich, nach dem Unterricht zu bleiben. Als wir allein waren, sagte er mir, dass ich großes Talent hätte. Dass ich vielleicht sogar ein Wunderkind sei.
Aus irgendeinem Grund brachte dieses Lob Crazy zum Vorschein. Crazy ist eine von jenen Kreaturen, die unten am Wasserloch trinken, dunkelhäutig, großäugig und irrsinnig. Crazy ist wütend. Crazy ist gemein und hinterlistig. Crazy ist verrückt, wie der Name schon sagt.
Crazy packte Mr. Perkins im Schritt und sagte: »Danke sehr! Soll ich Ihnen einen blasen, Mr. P.?«
Einfach so.
Ich werde nie vergessen, was daraufhin geschah. Seine Gesichtszüge entgleisten, und sein Schwanz wurde hart. Beides gleichzeitig. Er riss sich los und stotterte und ging aus dem Zimmer. Ich nehme an, er bekam es mit der Angst, und das mache ich ihm wirklich nicht zum Vorwurf. Ich vermute, das entgeisterte Gesicht, das Stottern, war der echte Mr. Perkins. Wie ich bereits sagte, ein sehr anständiger Mann.
Ich verließ das Klassenzimmer. Ich war ganz aufgeregt, f iebrig, ich grinste, und mein Herz hämmerte. Ich ging aus der Schule nach hinten, nahm ein Feuerzeug, verbrannte diese Geschichte und weinte, während sie brannte und die Asche vom Wind davongeweht wurde.
Seit damals habe ich eine Menge geschrieben, und ich habe alles verbrannt.
Inzwischen, wo ich mit dieser Geschichte hier anfange, bin ich fast sechzehn, und obwohl ich sie am liebsten ebenfalls verbrennen würde, werde ich es nicht tun.
Warum erzähle ich Ihnen das? Aus zwei Gründen.
Der erste Grund ist schwerwiegend: Sie müssen wissen, dass ich meinen Geisteszustand in mir sehen kann. Er ist wie ein flackerndes Licht. Früher war dieses Licht stark und hell und gleichbleibend. Heute ist es schwach und flackert manchmal stark. Es ist umgeben von Punkten aus Dunkelheit, die es wie Motten umkreisen, wie ein Schwarm dicker schwarzer Motten. Eines Tages – bald, wenn sich nichts ändert – werden die schwarzen Punkte zu viele sein. Sie werden das Licht, meinen Verstand, zum Erlöschen bringen, und ich werde für den Rest meines Lebens singen und nie wieder ein Wort hören.
Wenn ich also manchmal ein wenig sprunghaft bin, wenn ich Ihnen merkwürdig erscheine, dann liegt es daran, dass ich mich mit den Fingernägeln an der Klippe über dem Abgrund des Wahnsinns festkralle. Ich verbringe einen großen Teil meiner Zeit damit, das flackernde weiße Licht zu beobachten. Ich habe Angst, dass es verschwunden sein könnte, wenn ich zu lange wegschaue. Ich habe Angst, mich nicht erinnern zu können, dass dieses Licht je da gewesen ist.
Crazy ist unten am Wasserloch. Es ist nur ein kurzer Weg von dem schlechten Wasser bis zu mir. Es geht ganz schnell, und dann tue oder sage ich Dinge, die ich besser nicht tun oder sagen würde, okay?
Okay.
Der zweite Grund ist: Ich hätte ein richtiges Tagebuch schreiben können, eine hübsche, faktische Abhandlung der Dinge, die ich erlebe.
Aber ich bin talentiert. Ich bin ein Wunderkind!
Warum also nicht eine Geschichte schreiben?
Und das habe ich getan.
Ob alles wahr ist? Das kommt darauf an, wie man Wahrheit def iniert. Konnte ich die Gedanken meiner Eltern lesen? Weiß ich, was sie wirklich gedacht haben, als der Künstler zu uns ins Haus kam und sie geholt hat? Nein.
Die Wahrheit ist, dass ich es nicht weiß. Nicht wissen kann.
Die Wahrheit ist, dass ich es weiß.
Drei Teile Wahrheit, ein Teil Dichtung. Die Wahrheit liegt in der Zeit und im Ort und in den grundlegenden Ereignissen. Die Wahrheit liegt in den Gedanken und Motiven. Weil die Geschichte nur existiert, wo wir uns an sie erinnern – ist es da schlecht, sie mit ein wenig Menschlichkeit aufzufüllen, selbst wenn diese Menschlichkeit nur ausgedacht ist?
Sie waren meine Eltern, und ich habe sie geliebt, also habe ich sie als Charaktere dargestellt, mit Gedanken und Hoffnungen und Gefühlen, und dann habe ich das Geschriebene gelesen und geweint.
Ja, habe ich gesagt.
So waren sie.
Niemand kann mir erzählen, es wäre anders gewesen. Er soll es ja nicht wagen, weil sonst Crazy vom Wasserloch angerannt kommt, jede Wette, und die Kontrolle übernimmt.
Nein,
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