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Der Todesstoss

Der Todesstoss

Titel: Der Todesstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Bewegung zu setzen.
Das Ergebnis war ein dumpfes, lang anhaltendes und
überraschend lautes Dröhnen, das in dem engen gemauerten
Schacht fast schmerzhafte Lautstärke erreichte. Andrej ließ das
Seil los, überlegte es sich dann anders und zog noch einmal
daran. Während er weiterläutete, wurden draußen aufgeregte
Stimmen laut, polternde Schritte näherten sich. Andrej löste die
Hand vom Seil, drehte sich um und verschränkte die Arme vor
der Brust. Er hörte Schritte von mindestens zwei, vielleicht drei
Männern, dann wurde die Tür aufgestoßen, und derselbe
aufgeregte Soldat stürmte herein, der gerade mit dem Inquisitor
gesprochen hatte.
»Ich bitte um Verzeihung, wenn das frühe Glockengeläut
stören sollte«, sagte Andrej lächelnd, »aber ich bin auf der
Suche nach einem Freund. Sein Name ist Abu Dun, und er ist
ziemlich groß und ziemlich schwarz. Habt ihr ihn gesehen?«
Er erwachte in vollkommener Dunkelheit. Wie immer, wenn
er wirklich schwer verletzt worden war, hatte er im ersten
Moment Mühe, sich zurechtzufinden. Es fühlte sich an wie das
Auftauchen aus einem tiefen, klaren und unendlich kalten See,
auf dessen Grund etwas Unsichtbares lauerte, das ihn wieder in
die Tiefe zu ziehen versuchte - nicht mit Gewalt, sondern mit
der flüsternden Stimme des Versuchers. Manchmal war es
schwer, ihr zu widerstehen, und manchmal fast unmöglich.
Während er allmählich dem heller werdenden Licht hoch über
sich entgegenglitt, verspürte er eine Müdigkeit, wie er sie nie
zuvor empfunden hatte. Keine körperliche Schwäche, sondern
etwas, das schlimmer war; die Frage: Warum das alles. Es wäre
so leicht, einfach aufzugeben und sich der Verlockung zu
stellen, die am Grunde der großen Dunkelheit lauerte, die er so
oft betreten, aber noch nie vollends erforscht hatte.
Der Grund, aus dem er sich auch jetzt entschloss, den ewigen
Kampf wieder aufzunehmen und dem Tod erneut zu trotzen,
war die Schwärze, die ihn umgab.
Sie erinnerte ihn an etwas.
Abu Dun.
Etwas war mit Abu Dun passiert. Er musste etwas für ihn tun,
für ihn und die Menschen hier. Er wusste nicht mehr was oder
gar warum, aber der Gedanke war stark genug, sich ihn wieder
dem Licht zuwenden zu lassen und den langen, qualvollen Weg
zur Oberfläche fortzusetzen.
Und da war noch etwas: Die Dunkelheit, durch die er glitt…
enthielt etwas. Es war ein unheimliches Gefühl, völlig neu und
erschreckend, und seine ganze Tiefe sollte ihm erst später zu
Bewusstsein kommen, lange nachdem er wirklich aufgewacht
war.
Er war nicht mehr allein.
Der große Abgrund enthielt plötzlich mehr als das letzte
Geheimnis, das er noch lange nicht zu erkunden bereit war.
Etwas war bei ihm, etwas Düsteres, Lauerndes und unglaublich
Starkes. Es machte ihm Angst. Er schlug die Augen auf und sah
im ersten Moment nichts. Völlige Dunkelheit umgab ihn, aber
er hörte Geräusche und Stimmen, und der zweite, fast
unerträglich starke Eindruck, den er hatte, war der süßliche
Geruch von Blut, der aber seltsamerweise die un-heimliche Gier
in ihm nicht weckte. Er war nicht allein.
Dennoch war nichts Lebendiges an seiner Seite.
Andrej lauschte noch einen Moment, dann setzte er sich auf
und betastete seinen Körper. Er spürte den breiten Riss in
seinem Gewand und klebriges, erst halb eingetrocknetes Blut,
was ihm bewies, dass er noch nicht lange hier liegen konnte -
wo immer dieses hier war. Und Erleichterung; eine tiefere und
weit größere Erleichterung, als er sich eingestehen wollte. Was
er getan hatte, war riskant gewesen.
Die drei Soldaten hatten ihren Schrecken erstaunlich schnell
überwunden, und sie hatten nicht anders reagiert, als Andrej
erwartet hatte: Mit gezogenen Schwertern hatten sie sich auf ihn
gestürzt. Manchmal, dachte er spöttisch, während er sich
vorsichtig weiter in die Höhe stemmte, war es beinahe
schwerer, einen Kampf zu verlieren, als ihn zu gewinnen.
Zumindest, wenn man nicht wollte, dass der andere merkte,
dass man absichtlich unterlag …
Er war zwei- oder dreimal getroffen worden, bevor es ihm
gelang, sich derart in die Klinge eines der Angreifer zu werfen,
dass an der Tödlichkeit der Verletzung kein Zweifel mehr
bestehen konnte. Als Andrejs Hände weitertasteten, spürte er
auch an seinem Hals halb eingetrocknetes klebriges Blut.
Obwohl er ganz eindeutig tödlich getroffen worden war, hatten
die Soldaten es für nötig gehalten, ihm noch die Kehle
durchzuschneiden - ein Umstand, der viel darüber

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