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Der Todesstoss

Der Todesstoss

Titel: Der Todesstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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die Schale und nahm
den silbernen Drudenfuß heraus.
»Das hier sieht mir nicht nach einem wirklichen Symbol
Gottes aus, Vater Ludowig.«
Ludowigs Augen wurden schmal. »Was ist das?«, keuchte er.
»Woher kommt das? Habt Ihr es hierher gebracht, Heide?«
Er wollte nach dem Medaillon greifen, aber sein Sohn kam
ihm zuvor und nahm Andrej den Drudenfuß aus der Hand.
Rasch schloss er die Faust darum und schüttelte den Kopf.
»Das glaube ich kaum, Vater«, sagte er. »Ich fürchte, es war
eines deiner Schäfchen, das der Meinung war, man könne des
Guten niemals zu viel tun.
Und es schadet ja auch nicht, oder?«
»Ketzerei«, grollte Vater Ludowig. »Ich werde keine Ketzerei
in meiner Gemeinde dulden! Ich kann mir schon denken, wer
dafür verantwortlich ist!«
»Mit Verlaub, Vater Ludowig«, sagte Andrej. »Aber wenn
wir nicht aufhören, unsere Zeit zu verschwenden, dann werdet
Ihr in neun Tagen keine Gemeinde mehr haben. Hat Euch Euer
Sohn nicht gesagt, warum wir hier sind?«
Vater Ludowig funkelte ihn nur an, aber Thobias nickte. »Ich
fürchte, er hat Recht, Vater. Wir müssen jemandem vertrauen.«
»Ausgerechnet ihm? Einem Fremden, der noch dazu in
Begleitung eines Muselmanen hier erschienen ist? Einem Mann,
der dich um ein Haar getötet hätte? Alles hat erst wieder
begonnen, nachdem sie gekommen sind.«
Thobias war klug genug, diesen Einwand nicht aufzugreifen.
Er warf Andrej einen weiteren, beinahe flehenden Blick zu, es
ihm gleichzutun, dann wandte er sich ganz zu Andrej um und
sagte: »Hier hat damals alles angefangen.«
Es dauerte eine Weile, bis Andrej begriff, dass diese Worte
die Antwort auf seine Frage darstellten.
»Hier?«
»Es ist ein verfluchter Ort«, sagte Vater Ludowig. »Ihr müsst
Euch nur umsehen, Söldner! Spürt Ihr nicht den Atem des
Teufels?«
»Vater!«, rief Thobias. Er wandte sich wieder an Andrej.
»Dies war schon eine Begräbnisstätte, als dieses Land noch von
barbarischen Völkern besiedelt war, die heidnischen Riten
nachhingen und die Naturgeister anbeteten.« Er wies auf die
Kapelle. »Diese Kapelle wurde auf den Grundmauern eines viel
älteren Gebäudes errichtet.«
»Eines heidnischen Tempels«, giftete Vater Ludowig. »Es ist
ein Schlag in Gottes Gesicht, sein Haus auf den Grundmauern
eines heidnischen Tempels zu errichten! Das ist
gotteslästerlich!«
»Was hat hier begonnen?«, beharrte Andrej. Wie Thobias war
mittlerweile auch er zu dem Schluss gekommen, dass es das
Vernünftigste war, Ludowigs Worte einfach zu überhören. Er
fragte sich, warum Thobias ihn überhaupt mitgebracht hatte.
»Es war vor drei Jahren«, antwortete Thobias. Er deutete ein
Schulterzucken an. »Ungefähr. Ich selbst war nicht hier, und die
Leute sprechen nicht gerne darüber.« Er sah seinen Vater
auffordernd an, aber Ludowig verstummte nun gänzlich. Nach
einem Augenblick zuckte Thobias mit den Schultern und fuhr
fort: »Es war im Frühjahr. Fremde kamen ins Dorf. Gaukler,
soweit ich gehört habe.«
»Gaukler?« Andrej wurde hellhörig.
Abermals hob Thobias die Schultern. »Fahrendes Volk.
Spielleute, Zigeuner. Ich weiß es nicht genau.«
»Zigeuner!« Vater Ludowig spie das Wort regelrecht aus.
»Gottloses Volk, das nachts nackt um das Feuer tanzt und ohne
Scham vor den Augen aller herumhurt!«
»Nun ja, vielleicht nicht ganz nackt«, sagte Thobias
besänftigend. »Ich habe nichts gegen das fahrende Volk,
Andrej. Im Gegenteil. Die Menschen hier sind arm. Ihr Leben
besteht zum größten Teil aus Arbeit und Mühsal, und nur zu oft
aus Not. Sie heißen jede Abwechslung willkommen, und was ist
schon dabei? Ich glaube nicht, dass Gott etwas gegen ein wenig
Freude im Leben hat - sonst hätte er uns kaum die Fähigkeit zu
lachen gegeben, oder?«
Die letzte Frage war an Ludowig gerichtet, was Thobias einen
vernichtenden Blick seines Vaters einbrachte.
»In diesem Jahr aber«, fuhr Thobias fort, »brachten sie den
Tod. Einer von ihnen war krank, vielleicht auch mehrere, und
etliche Dorfbewohner haben sich wohl bei ihnen angesteckt.«
»Angesteckt?« Vater Ludowig zog eine Grimasse. »So kann
man es auch nennen. Es war die gerechte Strafe für ihr Tun! Sie
haben Ehebruch begangen. Herumgehurt haben sie! Was
danach geschah, war …«
»… keine große Tragödie«, fiel ihm Thobias ins Wort.
»Nachdem die Zigeuner fortgezogen waren, kam das Fieber.
Viele wurden krank, und an die zwanzig starben.« Er seufzte.
»Das allein wäre schrecklich genug gewesen, doch nachdem

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