Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Todesstoss

Der Todesstoss

Titel: Der Todesstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
an diesem
Morgen frisch ausgehoben worden war; auch wenn es sich von
jedem frischen Grab unterschied, das er jemals zu Gesicht
bekommen hatte. Statt eines flachen, mit frischen Blumen oder
Grün bedeckten Hügels bestand es aus einer zwei mal einen
Meter messenden massiven Granitplatte, in die weder ein Name
noch ein Geburts- oder Sterbedatum eingraviert war, dafür aber
ein Kruzifix mit gespaltenen Enden und ein lateinischer
Bibelspruch. Nicht nur, dass ein solches Grab für die einfachen
Menschen aus Trentklamm unglaublich aufwändig war, war es
auch vollkommen unsinnig. Spätestens wenn sich das Grab zu
senken begann, musste die Grabplatte zerbrechen, ganz egal,
wie massiv sie auch war.
Es gab noch mehr Besonderheiten. Die vier Eckpunkte des
Grabes wurden von vier gürtelhohen Kreuzen gebildet, und
ungefähr dort, wo sich das Herz des Beerdigten befinden
musste, stand eine mit Wasser gefüllte Schale, auf deren Boden
etwas Silbernes schimmerte. Andrej tauchte zögernd die Finger
hinein und roch an der Flüssigkeit. Wasser. Aber kein
gewöhnliches Wasser, sondern Weihwasser.
Er beugte sich weiter vor und zog fragend die Augenbrauen
zusammen, als er erkannte, worum es sich bei dem
schimmernden Gegenstand handelte. Es war ein silbernes
Medaillon in Form eines Drudenfußes.
Andrej streckte zögernd zum zweiten Mal die Hand aus, und
eine Stimme hinter ihm sagte: »Das würde ich nicht tun, an
Eurer Stelle.«
Erschrocken fuhr er hoch. Seine rechte Hand senkte sich auf
den Schwertgriff, aber er zog die Waffe nicht, als er die Gestalt
erkannte, die in Thobias’ Begleitung den Friedhof betreten
hatte.
»Vater Ludowig?«, murmelte er. Verwirrt blickte er von
Thobias zu Vater Ludowig und wieder zurück. Ludowig
funkelte ihn voller kaum unterdrücktem Zorn an, während
Thobias sichtliche Mühe hatte, sein Grinsen nicht allzu deutlich
werden zu lassen.
»Aber Ihr sagtet doch, Ihr kämt…«
»Mit meinem Vater, ganz recht«, feixte Thobias.
Andrej blickte abermals von einem zum anderen, und
plötzlich fragte er sich, warum er nicht schon längst von selbst
darauf gekommen war. Ludowigs Gesicht war schmal und
eingefallen und von Falten bedeckt, und wo in Thobias’ Augen
ein niemals ganz er-löschendes Lächeln zu sein schien, waren
Ludowigs Augen von einem unauslöschlich eingebrannten
Misstrauen erfüllt - aber die Ähnlichkeit war unverkennbar.
»Vater Ludowig«, murmelte Andrej. »Nun ja.«
»Strengt Eure Fantasie nicht unnötig an, Heide«, ermahnte
Ludowig ihn scharf. »Thobias kam zur Welt, lange bevor ich
Gottes Ruf empfing und in den Orden eintrat.«
»Nichts anderes habe ich angenommen, Vater«, erwiderte
Andrej. Ludowigs Augen begannen Feuer zu sprühen, und
Thobias bedeutete ihm mit Blicken, den Bogen nicht zu
überspannen. Als er sprach, wandte er sich direkt an Ludowig.
»Du hast es selbst gesehen, Vater. Er hat die Hand in
Weihwasser getaucht, und dies hier ist heiliger Boden. Du
selbst hast das Grab noch heute Morgen gesegnet - und wie ich
annehme, auch die eine oder andere Hostie vergraben.
Wie viele waren es? Ein Dutzend?«
»Was soll das für ein Beweis sein?«, fragte Vater Ludowig
mürrisch.
»Nun, er könnte kaum all diese Dinge tun, wenn er vom
Teufel besessen wäre, nicht wahr?«, erläuterte Thobias. In
seiner Stimme war noch immer ein sanfter Spott
wahrzunehmen, aber Andrej fühlte auch seine Anspannung.
»Der Teufel ist mächtig«, sagte Vater Ludowig. Er klang eher
störrisch als überzeugt.
»Nicht einmal er selbst könnte diesen Ort betreten«, seufzte
Thobias. »Du wolltest einen Beweis, dass wir ihm vertrauen
können. Du hast einen Beweis.
Seine Seele ist rein.«
»Er ist ein Heide«, beharrte Vater Ludowig. »Möglicherweise
hat er gar keine Seele, die der Teufel ihm rauben kann.« Er
klang jetzt einfach nur noch stur. Andrej wäre nicht überrascht
gewesen, wenn er mit dem Fuß aufgestampft hätte. Ludowig
wollte sich nicht überzeugen lassen.
»Was soll das?«, fragte Andrej an Thobias gewandt.
»Mein Vater ist der einzige Mensch in Trentklamm, dem ich
wirklich vertraue«, antwortete Thobias, aber Andrej schüttelte
sofort und übertrieben heftig den Kopf.
»Davon rede ich nicht«, sagte er. »Ich meine das hier. Dieses
Grab. Dieser ganze Friedhof … wenn man ihn so nennen will.«
»Sprecht nicht so respektlos von Gottes Haus!«, mahnte Vater
Ludowig.
»Gottes Haus?« Andrej lächelte wieder, und seine Stimme
war voller Spott. Er bückte sich, griff in

Weitere Kostenlose Bücher