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Der Todesstoss

Der Todesstoss

Titel: Der Todesstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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irgendwo hier sein«, fuhr Thobias nachdenklich
fort. »Ich kann sie spüren, Andrej. Fühlt Ihr es nicht auch?«
Statt direkt zu antworten, sah Andrej sich um. Zur Rechten
setzte sich die Felswand fort, bis sie im Dunst der Entfernung
verschwamm. Aber zur anderen Seite hin wurde der Berg
karstiger. Die senkrecht emporstrebende Mauer verwandelte
sich nach und nach in ein Gewirr von Felssplittern und
Schluchten, in dem sich eine ganze Armee verstecken konnte.
Oder auch zwei.
»Nein«, antwortete er mit einiger Verspätung auf Thobias’
Frage. »Aber ich an seiner Stelle würde mich genau hier
verstecken. Hundert Männer können ein Jahr nach ihm suchen,
ohne ihn zu finden.« Er seufzte. »Wir brauchen Abu Dun.«
»Nein«, sagte Thobias.
»Ich meine es ernst, Thobias«, beharrte Andrej. Natürlich
wusste er längst, wie die Antwort lauten musste, aber er
versuchte es dennoch weiter. »Ihr überschätzt mich, Thobias.
Ich bin nur ein Söldner, der gelernt hat, mit dem Schwert
umzugehen. Abu Dun ist der beste Fährtenleser, dem ich jemals
begegnet bin. Ich brauche ihn.«
»Kommt nicht in Frage«, beharrte Thobias, ruhig, aber auch
sehr entschlossen. Er konnte nicht anders entscheiden, das war
Andrej klar. Auch wenn er sich aus purer Verzweiflung
entschlossen hatte, Andrej zu vertrauen, so war er doch nicht
dumm. Abu Dun war sein einziges Pfand.
»Dann brauchen wir Hunde«, sagte er nachgebend. »Gibt es
Suchhunde bei Euch?«
»Im Kloster?« Thobias schüttelte den Kopf. »Wir hatten zwei
Hunde. Aber als Imret und ihr Onkel ins Kloster kamen,
mussten wir sie abschaffen. Sie haben sich wie wild gebärdet
und waren nicht mehr zu bändigen.«
»Und was ist mit Trentklamm?«, fragte Andrej.
»Dort gibt es Hunde«, räumte Thobias ein. »Aber ich weiß
nicht, welchem Zweibeiner ich dort trauen kann.«
»Wie wäre es mit Eurem Vater?«, schlug Andrej vor.
Thobias sah wenig begeistert aus, aber nach einer Weile rang
er sich trotzdem zu einem Nicken durch. »Ich werde ihn
fragen«, sagte er. »Die Beerdigung müsste ohnehin vorbei sein,
und so lange es hell ist, werden wir hier nichts finden. Also
reiten wir zurück.«
Der Friedhof der kleinen Ortschaft befand sich außerhalb des
Tales. Er lag am Ende einer schmalen, tief eingeschnittenen
Schlucht, die nur von einer Seite aus zugänglich war, und wurde
zusätzlich von einer gut mannshohen Mauer eingefasst, in der
sich nur eine schmale, massiv vergitterte Tür befand. Er
erinnerte eher an eine Festung als an einen Gottesacker. Oder an
ein Gefängnis.
Thobias hatte Andrej angewiesen, in der kleinen Kapelle zu
warten, während er nach Trentklamm zurückkehrte, um mit
seinem Vater zu sprechen. Andrej hatte sich eine gute Weile in
der winzigen, vollkommen leeren Kapelle aufgehalten, ehe er
wieder hinausging und ziellos über den Friedhof schlenderte.
Thobias hatte ihm zwar eingeschärft, die Kapelle nicht zu
verlassen, aber er glaubte nicht, dass jemand zufällig hier
vorbeikommen würde, und darüber hinaus schützte ihn auch die
hohe Mauer vor neugierigen Blicken.
Diese Mauer erwies sich bei näherem Hinsehen als mehr als
sonderbar.
Sie war fast zwei Meter hoch und aus massiven Felsbrocken
erbaut, die kaum behauen, aber äußerst kunstvoll miteinander
vermauert waren. Auf ihrer Oberkante befanden sich spitze
eiserne Dornen, die nach innen geneigt waren, und auch der
Riegel an der schweren Gittertür war außen angebracht.
Es gab eine Unzahl von Kreuzen. Nun war ein Friedhof
naturgemäß ein Ort, an dem es Kreuze in Massen gab, aber hier
standen sie nicht nur auf den Gräbern. Auch die Innenseite der
Friedhofsmauer war mit Kreuzen übersät, die aus Holz oder
Metall gefertigt waren, manche aber auch gemalt oder grob in
den Stein geritzt; zum Teil mit großer Kunstfertigkeit, zum Teil
in aller Hast. Das Gitter, das den Eingang verschloss, bestand
bei genauerem Hinsehen aus einer Unzahl geschmiedeter
Kruzifixe.
Es war ein durch und durch unheimlicher Ort. Und was für
seine Begrenzungsmauer galt, das traf auf die Gräber in beinahe
noch stärkerem Maße zu. Die meisten waren vollkommen
schlicht, aber es gab auch etliche, die mit Kreuzen und anderen
christlichen (und auch einigen ganz und gar nicht christlichen)
Symbolen nur so gespickt waren. Auf einigen lagen
tonnenschwere Steinplatten, als hätten die Menschen Angst,
dass das, was sich darin befand, wieder aus seinem Grab
herauskommen könnte.
Andrej fand ohne große Mühe das Grab, das

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