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Der Todesstoss

Der Todesstoss

Titel: Der Todesstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Entscheidung«, erwiderte Andrej kühl. Er hob
die Schultern.
»Draußen geht die Sonne auf. Wenn wir uns beeilen, können
wir noch vor Sonnenaufgang wieder in Trentklamm sein. Du
musst nicht mit kommen, wenn du nicht willst.«
»Und dich allein in dein Unglück laufen lassen?«, schnaubte
Abu Dun.
»Wenn ich dich länger als eine Stunde unbeobachtet lasse,
machst du doch wieder nur irgendwelchen Unsinn.«
»Versuch’s nicht, mein Freund«, sagte Andrej leise.
»Was soll ich nicht versuchen?«
»Mich aufzuheitern.«
»Wer sagt, dass ich das vorhabe?«
Gegen seinen Willen musste Andrej lächeln. Er führte das
Geplänkel nicht weiter fort, sondern ging an Abu Dur vorbei
zum Gang, blieb aber noch einmal stehen, bevor er die Höhle
verließ. Selbst seine übermenschlichscharfen Augen sahen nicht
mehr als ein Durcheinander aus Schatten und Umrissen, aber
mehr musste er auch nicht erkennen. Er würde den Anblick nie
wieder in Leben vergessen.
»Du hast dein Versprechen nicht vergessen?«, fragte Andrej
leise »Unsinn«, sagte Abu Dun. »Dir wird nichts geschehen. Du
bist unsterblich, hast du das schon vergessen ?«
»Das dachten Birger und die anderen auch«, antwortete
Andrej leise. »Ich will nicht enden wie sie, Abu Dun.«
»Das wirst du auch nicht«, erwiderte Abu Dun. »Du wirst
nichts spüren, das verspreche ich dir.« Er gab sich einen
sichtbaren Ruck. »Schon, weil ich dir gar nichts antun werde.
Und jetzt komm. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.«
Ganz wie Andrej befürchtet hatte, gestaltete sich der
Rückweg deutlich schwieriger als der Aufstieg. Sie brauchten
länger als bis zur Mittagsstunde, um wieder zur Schattenklamm
hinabzuklettern. Unten angekommen waren beide so erschöpft,
dass sie eine ganze Weile rasten mussten, ehe sie wieder genug
Kraft gesammelt hatten, um ihren Weg fortzusetzen.
Am Eingang der Schattenklamm angelangt, erlebten sie eine
unangenehme Überraschung: Die Pferde waren nicht mehr da.
»Genau das habe ich befürchtet«, nörgelte Abu Dun. »Und
was machen wir jetzt?«
Andrej zuckte als Antwort nur mit den Schultern. Wieso war
er eigentlich überrascht? Er hatte nicht ernsthaft erwarten
können, dass die Pferde hier warten würden, bis sie irgendwann
zurückkommen würden. Sie hatten sich nicht einmal die Mühe
gemacht, die Tiere anzubinden.
Er hob noch einmal die Schultern. »Was sollen wir schon
tun? Wir gehen zu Fuß.«
»Dann erreichen wir Trentklamm heute nicht mehr. Jedenfalls
nicht vor Einbruch der Dunkelheit.«
»Und ganz bestimmt nicht, wenn wir hier herumstehen und
reden.«
Andrej ging mit schnellen Schritten voran, noch bevor Abu
Dun auch nur die Möglichkeit hatte zu antworten. Er mahnte
sich selbst zur Mäßigung.
Abu Dun hatte seine Anordnungen bisher mit Gleichmut
ertragen, aber auch seine Geduld musste Grenzen kennen. Er
hatte nicht das Recht, den Nubier für etwas zu bestrafen, woran
diesen keine Schuld traf.
Für die Strecke, die sie zu Pferde in weniger als einer Stunde
zurückgelegt hatten, brauchten sie zu Fuß ein Mehrfaches dieser
Zeit. Es begann zu dämmern, als sie die Alm erreichten. Selbst
wenn sie stramm durchmarschierten, würden sie Trentklamm
erst weit nach Mitternacht erreichen. Andrej entschied sich
dafür, in der Almhütte zu übernachten.
Abu Dun schwieg zu diesem Vorhaben, aber man musste
keine Gedanken lesen können, um zu erkennen, wie wenig ihm
die Vorstellung behagte - so wenig, wie Andrej selbst. Aber sie
waren beide erschöpft und am Ende ihrer Kräfte. Sie brauchten
eine Rast und einen Ort, an dem sie wenigstens ein paar
Stunden schlafen konnten.
Die Hütte war verlassen. Jemand hatte Ludowigs Leichnam
fortgeschafft und die schlimmsten Kampfspuren beseitigt, aber
Andrej kam es vor, als könne er den Gestank von Blut und
Gewalt noch deutlich riechen. Seine Sinne offenbarten ihm
noch mehr: Zwei, vielleicht sogar drei Männer waren hier
gewesen, um Vater Ludowig zu holen. Es konnte noch nicht
lange zurückliegen. Einer von ihnen hatte draußen hinter der
Hütte gegen die Wand uriniert, und ein anderer hatte ganz leicht
nach Weihrauch gerochen. Vielleicht war es Bruder Thobias
gewesen. Es war unheimlich, aber Andrej konnte sogar sagen,
wie lange sie sich in der Hütte aufgehalten hatten.
Wohlweislich erwähnte er Abu Dun gegenüber nichts davon.
Stattdessen bedeutete er dem Nubier, das einzige, unbequeme
Bett in der fensterlosen Hütte für sich zu nehmen und erstickte
seinen Widerspruch mit der

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