Der Todesstoss
stehen. Am Waldrand auf der anderen Seite der
Alm waren zwei Pferde aufgetaucht. Die Reiter in ihren Sätteln
waren ausnahmslos hoch gewachsen und dunkel gekleidet. Auf
ihren Körpern brach sich schimmerndes Mondlicht. Sie tragen
Rüstungen, oder zumindest Brustharnische und Helme. Noch
während Andrej hinsah, gesellten sich ein weiterer und
schließlich ein vierter Reiter zu den beiden ersten.
»Verdammt!«, fluchte Abu Dun hinter ihm. »Was um alles in
der Welt suchen die hier?«
»Was glaubst du wohl?«, murmelte Andrej. Seine Gedanken
überschlugen sich. Er zweifelte nicht daran, dass Abu Dun und
er ohne größere Probleme mit diesen vier Männern fertig
werden konnten, aber er wollte einen Kampf vermeiden. Sie
waren nicht hier, um noch mehr Blut zu vergießen.
Die vier hatten am Waldrand Halt gemacht und machten nicht
nur keine Anstalten weiterzureiten, sondern stiegen jetzt einer
nach dem anderen aus dem Sattel. Sie blickten in Richtung der
Hütte - Andrej konnte zwar keine Einzelheiten erkennen, wohl
aber die hellen Flächen ihrer Gesichter, denen das Mondlicht
auch noch den letzten Rest von Farbe genommen hatte. Sie
waren nicht zufällig hier.
Aber Andrej wusste auch, dass sie von ihrer Position aus so
gut wie nichts erkennen konnten; selbst er hätte die Hütte nur
als schwarzen Schatten vor noch schwärzerem Hintergrund
erkannt.
»Los!«, befahl er. »Und keinen Laut!«
Hintereinander huschten sie aus der Hütte. Andrej verbarg das
Schwert unter seinem Mandel, damit sich kein verirrter
Lichtstrahl auf dem Metall der Klinge brechen und sie verraten
konnte, behielt die Waffe aber in der Hand, während sie um das
kleine Gebäude eilten und Schutz in den tieferen Schatten auf
seiner Rückseite suchten.
Hier konnten sie nicht bleiben. Noch bevor sich Andrej
herumdrehte, spürte er, dass sich die Soldaten auf die Hütte zu
in Bewegung gesetzt hatten. Sie gingen in gerader Linie,
strebten dabei zugleich aber auch leicht auseinander, und hatten
ihre Waffen gezogen. Andrej gab nicht den geringsten Laut von
sich, runzelte aber besorgt die Stirn. Was er sah, gefiel ihm ganz
und gar nicht. Wer immer diese Männer waren, sie schienen
ganz genau zu wissen, wo und nach wem sie zu suchen hatten.
Sie verstanden ihr Handwerk. Andrej hatte eine genaue
Vorstellung davon, wie es weitergehen würde: Die Männer
würden sich der Hütte in einer weit auseinander gezogenen
Linie nähern und das Gebäude in einer Zangenbewegung
umgehen, bevor zwei oder vielleicht auch drei von ihnen die
Tür einschlugen und mit gezückten Schwertern eindrangen.
»Ich nehme die beiden auf der rechten Seite, du die auf der
anderen«, flüsterte Abu Dun.
Andrej hob als Antwort nur die Schultern. Auch wenn er sich
widerwillig eingestand, dass Abu Dun vermutlich Recht hatte,
hätte er einen Kampf dennoch lieber vermieden. Nicht nur, weil
er jedem Kampf lieber aus dem Weg ging, statt ihn zu suchen.
Diese Männer waren ihm vollkommen unbekannt. Er hatte
keinen Grund, sie zu töten - und er hatte fast panische Angst vor
dem, was vielleicht geschehen würde, wenn er das nächste Mal
Blut vergießen würde. Diese mörderische Gier war noch immer
in ihm, vielleicht nicht mehr ganz so wütend wie bisher,
vielleicht aber auch nur schlafend. Er hatte vor nichts mehr
Angst als davor, sie mit dem Geruch von Blut zu wecken.
»Machen wir es so?«, flüsterte Abu Dun, als er keine Antwort
von Andrej erhielt.
Abermals hob Andrej nur die Schultern. Mit seiner Frage
erinnerte Abu Dun ihn an etwas, was ihm immer schmerzhafter
deutlich wurde: Er begann Fehler zu machen; schwerwiegende
Fehler. Es war, als müsse er für die zunehmende Schärfe seiner
Sinne mit einem Verlust seiner Denkfähigkeit bezahlen. Zwar
hatte er instinktiv richtig entschieden, die Hütte zu verlassen, in
der Abu Dun und er in der Falle gesessen hätten, aber Schutz in
den Schatten auf ihrer Rückseite zu suchen, war ein großer
Fehler gewesen. Es war dunkel, aber die Farbe der Felswand
hinter ihnen war selbst in der Nacht hell genug, sodass sich ihre
Gestalten deutlich davon abheben mussten.
Trotzdem kam es nicht zum Kampf. Die Soldaten hatten die
Hälfte der Bergwiese überwunden, als eine fünfte Gestalt am
Waldesrand auftauchte, auch sie nur ein beinahe substanzloser
Schatten wie die Männer vor ihr. Dieser Reiter saß auf einem
gewaltigen weißen Schlachtross. Unmittelbar vor dem
dunkleren Hintergrund des Waldrandes hielt er sein Pferd einen
Moment lang an,
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