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Der Todesstoss

Der Todesstoss

Titel: Der Todesstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Ankündigung, dass er ohnehin noch
nicht müde sei und bis Mitternacht draußen Wache halten
würde. Der Nubier wusste so gut wie Andrej, dass er nichts
dergleichen vor hatte, aber er beließ es bei einem Kopfschütteln
und war eingeschlafen, noch bevor er sich ganz auf der Pritsche
ausgestreckt hatte.
Andrej verließ die Hütte, entfernte sich ein paar Schritte und
ließ sich mit untergeschlagenen Beinen ins Gras sinken, um
dem Sonnenuntergang zuzusehen. Im Gegensatz zu dem, was er
Abu Dun gegenüber behauptet hatte, war er furchtbar müde -
und zugleich von einer kribbelnden Unruhe erfüllt, die es ihm
fast unmöglich machte, still zu sitzen.
Nach einer Weile legte er den Kopf in den Nacken und sah in
den Himmel hinauf. Die Sonne war mittlerweile vollkommen
untergegangen, aber es war nicht wirklich dunkel geworden.
Der Mond war am wolkenlosen Himmel zu einer nahezu
perfekten Scheibe geworden; morgen Nacht würde Vollmond
sein. Ob die Unruhe und die fremdartige, erschreckende Gier,
die er verspürte, damit zu tun hatten?
Andrej merkte nicht, dass sich seine Lippen zu einem bitteren
Lächeln verzogen. Er hatte immer geglaubt, dass es nichts gäbe,
was ihn erschrecken könnte, und nichts, was er wirklich
fürchtete - und nun tat er alles in seiner Macht Stehende, um die
Augen vor einer Wahrheit zu verschließen, die sich so
überdeutlich offenbart hatte, dass auch Abu Dun sie längst
erkannt hatte. Es hatte alles mit dem Mond zu tun.
Er hob die Hand, hielt sie ins Mondlicht und betrachtete die
feinen Härchen auf seinem Handrücken, die im kalten Licht der
Nacht schimmerten wie Spinnweben aus Silber. War die
Behaarung dichter geworden?
Nein!, entschied Andrej. Ihm wuchsen auch keine spitzen
Ohren, und er musste auch nicht die Hand heben und sein Kinn
betasten, um sich davon zu überzeugen, dass sich sein Gesicht
noch nicht in eine spitze Wolfsgrimasse verwandelt hatte. So
einfach war es nicht.
Er würde sich gewiss nicht in eine missgestaltete
Wolfskreatur verwandeln, und er würde auch nicht den Mond
anheulen und nachts Schafe auf den Weiden reißen. Was mit
ihm geschah, war viel schrecklicher. Das Ungeheuer hatte ihn
verändert, entweder als es ihn verletzt hatte, oder als er dessen
Seele in sich aufgenommen und seine Lebenskraft verzehrt
hatte, und diese Veränderung war noch immer nicht
abgeschlossen. Andrej wusste jetzt weniger denn je, was am
Ende dieser Verwandlung stehen würde, aber er hatte
entsetzliche Angst davor.
Morgen, dachte er. Morgen Nacht war Vollmond. Spätestens
dann würde er erfahren, was aus ihm geworden war - und wer
den Kampf damals auf dem Weg zum Kloster wirklich
gewonnen hatte.
Er hörte ein Geräusch und reagierte mit einer Schnelligkeit,
die ihn selbst verblüffte. Blitzschnell, dennoch lautlos, sprang er
auf die Füße und huschte geduckt zur Hütte zurück. Er konnte
das Geräusch noch nicht zuordnen, wusste aber sofort, dass es
nicht in diese Umgebung gehörte. Es bedeutete Gefahr. Mit
angehaltenem Atem presste er sich in den Schatten der
Almhütte und blickte aus eng zusammengekniffenen Augen in
die Richtung, aus der das verräterische Geräusch gekommen
war. Es waren Hufschläge. Er hörte den Hufschlag von
mindestens drei, wenn nicht vier Pferden, obwohl der jenseitige
Waldrand mehr als hundert Schritte entfernt war. Metall klirrte,
und er vernahm das Knarren von eingefettetem Leder. Sättel.
Metallene Waffengurte und Schwertscheiden, die gegen
gepanzerte Oberschenkel und die Flanken der Pferde schlugen,
waren auszumachen, dazu das Brechen von Zweigen. Nur noch
wenige Augenblicke und die Reiter würden die Alm erreicht
haben. Aber wenn er nur ein winziges Quäntchen Glück hatte,
würde die Zeit reichen.
Andrej huschte durch die Tür und setzte dazu an, Abu Duns
Namen zu rufen, doch es erwies sich als nicht notwendig.
Obwohl der Nubier tief geschlafen hatte, waren seine Reflexe
so gut wie eh und je. Noch bevor Andrej den zweiten Schritt in
die Hütte hinein getan hatte, fuhr er mit einer gleitenden
Bewegung in die Höhe. Metall schimmerte in seiner Hand.
Andrej hatte nicht einmal gemerkt, dass er mit dem Schwert in
der Hand eingeschlafen war.
»Was?«, fragte er knapp. Seine Stimme war klar,
vollkommen wach und angespannt. Sie klang nicht wie die
Stimme eines Mannes, der aus tiefstem Schlaf hochgeschreckt
war.
»Soldaten«, antwortete Andrej ebenso knapp. Ohne ein
weiteres Wort der Erklärung fuhr er wieder herum und blieb auf
der Türschwelle

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