Der Todesstoss
sogar.«
»Ich weiß«, murmelte Abu Dun. »Sonst könnte ja niemand
davon berichten, dass hier ein großer schwarz gekleideter Mohr
sein Unwesen treibt und ahnungslose Soldaten abschlachtet.« Er
knirschte so laut mit den Zähnen, dass Andrej damit rechnete,
Blut auf seinen Lippen zu sehen, als er sich zu ihm umwandte.
»Ich nehme meinen Vorschlag zurück.«
»Welchen?«
»Unserer Wege zu gehen«, sagte Abu Dun grimmig. »Ich
möchte jetzt doch deinem Freund Thobias die eine oder andere
Frage stellen.«
»Seltsam«, antwortete Andrej. »Aber ich hatte gerade
dieselbe Idee.« Er machte eine Kopfbewegung zum Waldrand
und die dort angebundenen Pferde.
»Wenigstens müssen wir nicht zu Fuß gehen.«
Sie hatten den Feuerschein schon von weitem gesehen, ein
unheimliches rotes Lodern, als wäre der Himmel mit Blut
getränkt, aber Andrej hatte sich bis zum Schluss geweigert,
seine Bedeutung zu verstehen. Ein brennender Heuhaufen.
Ein Lagerfeuer, um das sich die Dorfbewohner versammelt
hatten, um ein Fest zu feiern oder Gäste willkommen zu heißen.
Ein Holzstapel, der Feuer gefangen hatte … Es war erstaunlich,
auf wie viele überzeugende oder auch abwegige Erklärungen
sein Hirn kam, um nicht sehen zu müssen, was offensichtlich
war.
Es war Trentklamm, das brannte.
Nicht nur ein Haus. Nicht nur ein Heuschober oder ein
Holzstapel. Der Ort brannte von einem Ende zum anderen.
Obwohl sie am Waldrand Halt gemacht hatten und auf die
grausige Szene aus der gleichen Entfernung wie am Tag ihrer
Ankunft hinabblickten, hatte Andrej das schreckliche Gefühl,
die Hitze der brennenden Häuser auf dem Gesicht zu spüren
und den Gestank von brennendem Holz und Stroh und vor
allem Fleisch zu riechen. Er spürte weder die Hitze noch roch er
irgendetwas anderes als die kalte klare Luft, die von den Bergen
herabströmte und Rauch und Brandgeruch von ihnen forttrug.
Lange Zeit saßen sie schweigend nebeneinander in den
Sätteln und sahen auf den brennenden Ort hinab. Winzig
erscheinende Gestalten bewegten sich zwischen den brennenden
Gebäuden.
Andrej erkannte sehr wohl, dass sie viel zu weit entfernt
waren, um Einzelheiten zu sehen, aber es war wie mit dem
Gestank und der Hitze: Er wusste, was dort unten geschah.
»Da scheint jemand vorschnell gewesen zu sein«, sagte Abu
Dun, nach einer Weile, die vermutlich nur Augenblicke gewährt
hatte, Andrej aber wie eine Ewigkeit vorkam. »Oder waren wir
drei Tage länger in den Bergen, als ich dachte?«
»Auf jeden Fall zu lange«, antwortete Andrej, ohne den Blick
von der brennenden Ortschaft zu nehmen.
Seine überempfindlichen Augen schmerzten und begannen
allmählich zu tränen, aber er war nicht in der Lage, den Blick
von der schrecklichen Szenerie abzuwenden. Er konnte nicht
sagen, wie viele der winzigen, um ihr Leben rennenden
Gestalten wirklich dort unten zu sehen waren, und wie viele
seiner Einbildung entsprangen.
Oder gerade lange genug, wisperte eine dünne Stimme
irgendwo in seinen Gedanken. Ein Schauder durchfuhr ihn. Er
hatte das Gefühl, dass jetzt alles einen Sinn ergab. Alle
Antworten lagen vor ihm. Aber er fand die richtigen Fragen
nicht.
»Was sollen wir tun?«, fragte Abu Dun.
Andrej hob die Schultern. Er kannte auch diese Antwort.
»Wir könnten immer noch davon reiten«, schlug Abu Dun
vor. Schon der Ton, in dem er diese Worte aussprach, trug die
Antwort in sich. Andrej machte sich nicht einmal die Mühe,
etwas zu entgegnen.
»Dort unten sind mindestens fünfzig Soldaten«, sagte Abu
Dun - was nach Andrejs Einschätzung übertrieben war.
Trentklamm hatte zwar an die hundert Einwohner, aber es
brauchte keine fünfzig Soldaten, um ein Bauerndorf dieser
Größenordnung auszulöschen. Wenn die Männer dort unten ihr
Handwerk verstanden - woran Andrej keine Sekunde lang
zweifelte - dann reichten fünfzehn Männer.
»Mehr nicht?«, fragte er kalt. »Wenn es so ist, dann reicht es,
wenn du mir Rückendeckung gibst.«
Abu Dun seufzte. »Du meinst das ernst, wie?«, fragte er. »Du
willst tatsächlich dort hinuntergehen und sie alle erschlagen?«
Andrej versuchte, mehr Einzelheiten in dem Gewirr aus
loderndem roten und gelben Licht und vollkommener
Dunkelheit unter ihnen zu erkennen, aber es gelang ihm nicht.
Immerhin sah er, dass es ein Gebäude in Trentklamm zu geben
schien, das die Angreifer bisher verschont hatten: die Kirche.
Aber vielleicht brannte die Kirche nicht, weil sie das einzige
Gebäude des ganzen Ortes war, das aus Stein gebaut
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