Der Todesstoss
war.
»Ich weiß nicht, was ich meine«, sagte er leise; mehr an sich
selbst gewandt als an Abu Dun. Mit einer fast
übermenschlichen Anstrengung riss er sich vom Anblick des
brennenden Dorfes los und sah den Nubier an. »Ich weiß nicht,
was ich will. Sag du es mir.«
Das ebenholzfarbene Gesicht des nubischen Riesen blieb
vollkommen ausdruckslos. »Wir haben deine Heimat verlassen,
weil du des Krieges müde warst, Hexenmeister«, erinnerte er
Andrej leise, fast sanft. »Bist du sicher, dass wir hierher
gekommen sind, nur um gleich einen neuen anzufangen?«
»Er ist doch längst im Gange«, antwortete Andrej leise. »Ob
mit oder ohne uns.«
»Ohne uns wäre mir lieber«, sagte Abu Dun. Aber er klang
nicht überzeugend.
»Der Soldat wird geredet haben«, gab Andrej zu bedenken.
»Wer immer in deine Verkleidung geschlüpft ist, um die drei
Soldaten zu erschlagen, wollte, dass er entkommt. Du fällst auf,
mein Freund. Man wird dich überall suchen.«
Abu Dun machte eine abfällige Bewegung. »Wenn ich für
jede Stadt, in der ich gesucht werde ein Geldstück bekäme,
wäre ich ein reicher Mann«, sagte er.
Dann schürzte er die Lippen. »Andererseits hast du Recht,
Hexenmeister. Weißt du, dieser Kerl hat meinen Mantel, und
den hätte ich gerne zurück.« Er hob die Schultern. »Ich hänge
daran.«
Nach Andrejs Meinung war dies kaum der richtige Moment
für Scherze; nicht einmal, wenn man Abu Duns Humor kannte,
der mindestens so schwarz war wie sein Gesicht.
Statt zu antworten, schloss Andrej für einen langen Moment
die Augen und legte den Kopf in den Nacken, bevor er die
Lider wieder hob. Der Himmel war noch immer wolkenlos, und
der Mond schien größer geworden zu sein.
Mitternacht war längst vorüber. Er schätzte, dass kaum mehr
als drei oder vier Stunden bis Sonnenaufgang blieben. Vier
Stunden, in denen Trentklamm bis auf die Grundmauern
niederbrennen würde. Es gab nichts, was sie dagegen tun
konnten.
Aber vielleicht gab es noch ein paar Leben, die sie retten
konnten.
»Du reitest zum Kloster«, sagte er. »Bruder Thobias wird
bestimmt erfreut sein, dich wieder zu sehen. Aber lass ihn am
Leben. Ich muss ihm ein paar sehr wichtige Fragen stellen.«
»Das werde ich nicht tun«, Abu Dun klang bestimmt.
»Thobias am Leben lassen?«
»Dich allein dort hinuntergehen lassen. Ich kenne das nun zur
Genüge.
Du schickst mich unter einem Vorwand fort, weil du den
ganzen Spaß für dich allein haben willst. Aber diesmal falle ich
nicht darauf herein.«
Andrej starrte ihn an. Abu Duns breites Grinsen hielt noch
einen Moment lang an.
»Du wirst es nicht allein schaffen dort unten«, sagte er.
Andrej schwieg beharrlich weiter, und nach einem weiteren
Moment begann sich Abu Duns Gesicht zu verdüstern.
Wahrscheinlich lag es nun am schwachen Licht der Nacht,
aber Andrej kam es plötzlich schwärzer vor als schwarz.
»Sie werden dich töten, wenn du dort hinuntergehst«, warnte
Abu Dun.
»So schnell bin ich nicht umzubringen«, antwortete Andrej.
»Ich weiß, wie zäh du bist«, erwiderte Abu Dun. »Aber du
bist weder wirklich unsterblich noch unbesiegbar.« Er hob die
Schultern.
»Muss ich dich daran erinnern, dass selbst ich dich schon
einmal besiegt habe?«
Andrej schwieg.
»Ich verstehe«, seufzte Abu Dun. »Du willst sterben.«
»Du weißt doch, dass ich das gar nicht kann.«
»Du willst sterben, weil du Angst hast.« Abu Dun überhörte
seine Antwort. »Du fühlst dich für das alles hier verantwortlich,
und außerdem hast du Angst vor morgen Nacht.« Er machte
eine Kopfbewegung zum Himmel. »Morgen ist Vollmond.«
»Du glaubst doch nicht etwa all diesen Unsinn, den man sich
über Werwölfe erzählt?«
»So wenig, wie ich an Vampyre glaube«, sagte Abu Dun.
»Das ist…«
»… ein Unterschied?«, unterbrach ihn Abu Dun. »Ich denke
nicht.
Und selbst wenn - für dich ist es keiner. Du willst sterben,
aber das werde ich nicht zulassen, verstehst du? Sich einfach
aus dem Staub zu machen, ist feige.«
»Selbst wenn es so wäre - glaubst du, dass es mir hilft, wenn
du ebenfalls umgebracht wirst?«
»Was glaubst du, wie lange ich noch lebe, ohne dich?« Abu
Dun schüttelte grimmig den Kopf. »Du hattest viele
Gelegenheiten, Hexenmeister. Jetzt wirst du mich nicht mehr
los.«
Rasende Wut kochte in Andrej hoch. Er musste sich mit aller
Macht beherrschen, um nicht herumzufahren und Abu Dun
niederzuschlagen. Statt ihn anzuschreien, sagte er jedoch nur
mit leiser, vor Anspannung zitternder Stimme:
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