Der Todschlaeger
sie pflanzten sich dort
auf, bis die Wäscherin gezwungen war, die
Deckel hochzuheben. Dann erschien gegen
fünf Uhr Virginie; sie hatte Lantier abermals
gesehen; man konnte wahrhaftig keinen Fuß
mehr auf die Straße setzen, ohne ihn zu
treffen. Auch Frau Boche hatte ihn soeben an
der Ecke des Bürgersteigs erblickt, wie er mit
tückischer Miene den Kopf vorstreckte. Da
wurde Gervaise, die gerade für einen Sou
geröstete Zwiebeln für das Rindfleisch mit
Brühe einkaufen wollte, von einem Zittern
befallen und wagte sich nicht mehr hinaus, um
so mehr als die Concierge und die Schneiderin
sie sehr erschreckten, indem sie von
fürchterlichen Geschichten erzählten, von
Männern, die mit unter dem Überrock
verborgenen Messern und Pistolen auf Frauen
warteten. Ja, freilich, das konnte man alle Tage
in den Zeitungen lesen; wenn einer dieser
Schufte eine Verflossene wiederfindet, der es
gut geht, gerate er in Wut und werde zu allem
fähig. Virginie erbot sich in verbindlicher
Weise, schnell die gerösteten Zwiebeln zu
holen. Unter Frauen müsse man einander
helfen, man dürfe nicht zulassen, daß die arme
Kleine niedergemetzelt werde. Als sie
zurückkam, sagte sie, Lantier sei nicht mehr
da; er werde wohl geflitzt sein, weil er sich
entdeckt wußte. Nichtsdestoweniger drehte
sich die Unterhaltung rings um die Pfannen bis
zum Abend um ihn. Als Frau Boche riet,
Coupeau in Kenntnis zu setzen, bekundete
Gervaise großen Schrecken und bat sie
inständig, nie ein Wort über diese Dinge fallen
zu lassen. O je, das wäre eine schöne
Geschichte! Ihr Mann müsse schon etwas von
der Sache ahnen, denn seit einigen Tagen
fluche er beim Schlafengehen und versetze der
Wand Faustschläge. Ihr zitterten die Hände bei
dem Gedanken, daß zwei Männer sich
ihretwegen prügeln könnten; sie kannte
Coupeau, er war so eifersüchtig, daß er mit
seiner Blechschere über Lantier hergefallen
wäre. Und während sie sich alle vier in dieses
Drama vertieften, schmorten sacht die Saucen
auf den Herden, deren Glut mit Asche
abgedeckt war; das Kalbsfrikassee und der
Schweinerücken gaben, als Mama Coupeau
den Deckel abnahm, ein leises Geräusch, ein
zurückhaltendes Brutzeln von sich; das
Rindfleisch mit Brühe behielt sein Schnarchen
bei, das Schnarchen eines Kantors, der mit
dem Bauch in der Sonne eingeschlafen war.
Schließlich machten sie sich jede etwas Suppe
in einer Tasse zurecht, um die Brühe zu
kosten.
Endlich kam der Montag. Da Gervaise nun
vierzehn Personen zum Abendessen haben
sollte, fürchtete sie, all diese Leute nicht
unterbringen zu können. Sie entschloß sich,
die Tafel im Laden zu decken; und gleich am
Morgen maß sie noch mit einem Zollstock
herum, um herauszubekommen, in welcher
Richtung sie den Tisch aufstellen müßte.
Sodann mußte die Wäsche umgeräumt, der
Arbeitstisch abgebaut werden; der Arbeitstisch
sollte nämlich, auf andere Böcke gestellt, als
Tafel dienen.
Aber ausgerechnet mitten bei dieser ganzen
Umräumerei erschien eine Kundin und machte
eine Szene, weil sie seit Freitag auf ihre
Wäsche wartete; man mache sich wohl lustig
über sie, sie wolle unverzüglich ihre Wäsche.
Da entschuldigte sich Gervaise und log dreist,
es sei nicht ihre Schuld, sie mache ihren Laden
sauber, die Arbeiterinnen würden erst morgen
wiederkommen; und sie schickte die
besänftigte Kundin wieder fort, indem sie ihr
versprach, zuallererst sich um sie zu kümmern.
Als die andere dann weg war, brach sie in böse
Reden aus. Wirklich, wenn man auf die
Kunden hörte, könnte man sich nicht einmal
die Zeit zum Essen nehmen, könnte man sich
das ganze Leben um ihrer schönen Augen
willen umbringen! Man war doch kein
Kettenhund! Na, und wenn der Großtürke in
eigener Person gekommen wäre und ihr einen
Kragen gebracht hätte und wenn es sich darum
gehandelt hätte, hunderttausend Francs zu
verdienen, sie hätte an diesem Montag keinen
Bügelstrich getan, weil nun schließlich mal sie
an der Reihe war, sich ein bißchen zu freuen.
Der ganze Vormittag wurde dazu verwendet,
die Einkäufe zu erledigen. Dreimal ging
Gervaise weg, kehrte wie ein Maulesel
beladen wieder heim. Doch als sie gerade
wieder aufbrechen wollte, um den Wein zu
bestellen, merkte sie, daß sie nicht mehr genug
Geld hatte. Sie hätte den Wein zwar auf Kredit
nehmen können, bloß konnte das Haus nicht
ohne jeden Sou bleiben wegen der tausend
kleinen Ausgaben, an die man nicht
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