Der Todschlaeger
Als Frau Putois von
Kalbsfrikassee sprach, sahen sie sich alle mit
einem Lächeln an, das immer größer wurde.
Das war eine Idee; nichts würde solchen
Eindruck machen wie Kalbsfrikassee.
»Danach«, meinte Gervaise, »müßte noch ein
Gericht mit Sauce kommen.«
Mama Coupeau dachte an Fisch. Doch die
anderen schnitten eine Grimasse und tappten
mit ihren Bügeleisen heftiger auf. Niemand aß
gern Fisch; der hielt nicht vor im Magen und
steckte voller Gräten. Als diese Schielliese
Augustine zu sagen wagte, sie esse gern
Rochen, schloß ihr Clémence mit einem
Rippenstoß den Schnabel. Gerade war der
Meisterin schließlich ein Schweinerücken mit
Kartoffeln eingefallen, der die Gesichter
wieder aufgeheitert hatte, da kam Virginie mit
glühendem Gesicht wie ein Wirbelwind
hereingestürmt.
»Sie kommen gerade recht!« rief Gervaise.
»Mama Coupeau, zeigen Sie ihr doch das
Tier.«
Und Mama Coupeau holte zum zweitenmal die
fette Gans, die Virginie auf die Hände nehmen
mußte. Sie brach in Verwunderungsrufe aus.
Kreuzdonnerwetter! War die schwer! Aber sie
legte sie sofort auf den Rand des
Arbeitstisches zwischen einen Unterrock und
einen Stoß Hemden. Sie war mit ihren
Gedanken woanders und zog Gervaise in die
hintere Stube.
»Hören Sie mal, meine Kleine«, flüsterte sie
schnell, »ich will Sie warnen ... Sie würden nie
erraten, wen ich am Ende der Straße getroffen
habe! Lantier, meine Liebe! Er lungert und
lauert da herum ... Da bin ich hergerannt. Es
hat mich Ihretwegen erschreckt, verstehen
Sie?«
Die Wäscherin war ganz blaß geworden. Was
wollte er denn von ihr, dieser Unglückselige?
Und ausgerechnet mitten in die
Vorbereitungen zum Namenstag platzte er
hinein. Sie habe nie Glück gehabt; kein
Vergnügen könne man sie in Ruhe genießen
lassen.
Aber Virginie entgegnete ihr, sie sei schön
dumm, sich die Galle an den Hals zu ärgern.
Bei Gott! Wenn Lantier es sich einfallen
lassen sollte, ihr nachzugehen, so solle sie
einen Schutzmann rufen und ihn einlochen
lassen. Seit ihr Mann vor einem Monat seine
Polizistenstelle bekommen hatte, nahm die
große Brünette hochfahrendes Benehmen an
und redete davon, alle Welt festzunehmen. Als
sie die Stimme hob und wünschte, auf der
Straße gekniffen zu werden, einzig und allein
deshalb, um den Unverschämten selbst zur
Wache mitzunehmen und ihn Poisson zu
übergeben, bat Gervaise sie mit einer
Handbewegung flehentlich, sie solle
schweigen, weil die Arbeiterinnen horchten.
Sie ging als erste in den Laden zurück; große
Ruhe heuchelnd, fuhr sie fort:
»Nun müßte ein Gemüse kommen.«
»Na, grüne Erbsen mit Speck«, sagte Virginie.
»Ich, ich würde nur davon essen.«
»Ja, ja, grüne Erbsen mit Speck!« stimmten
die anderen alle zu, während Augustine
begeistert mit heftigen Hieben den Feuerhaken
tief in die Maschine hineinstieß.
Am folgenden Tag, am Sonntag, zündete
Mama Coupeau schon um drei Uhr die beiden
Herde des Hauses und einen dritten, von den
Boches geborgten Kachelherd an. Um halb
vier kochte das Rindfleisch mit Brühe in
einem großen Topf, den man vom Gasthaus
nebenan ausgeliehen hatte, da der Topf des
Haushaltes zu klein erschienen war. Man hatte
beschlossen, das Kalbsfrikassee und den
Schweinerücken am Tage vorher zuzubereiten,
weil diese Gerichte aufgewärmt besser
schmecken; bloß die Sauce zum
Kalbsfrikassee würde man erst in dem
Augenblick andicken, da man sich zu Tisch
setzte. Es würde schon noch genug Arbeit für
Montag übrigbleiben, die Suppe, die Erbsen
mit Speck, der Gänsebraten. Das hintere
Zimmer war ganz erleuchtet von den drei
Kohlenfeuern; in den Kasserollen verbreiteten
Mehlschwitzen einen brenzligen Fettgeruch
mit heftigem Qualm gebrannten Mehls,
während der große Kochtopf wie ein Kessel
Dampfstrahlen ausfauchte, wobei seine Seiten
von ernsten und tiefen Glucksern erschüttert
wurden. Mama Coupeau und Gervaise, die
sich eine weiße Schürze vorgebunden hatten,
erfüllten den Raum mit ihrer Hast beim
Verlesen der Petersilie, beim Laufen nach
Pfeffer und Salz, beim Wenden des Fleisches
mit der hölzernen Rührkelle.
Coupeau hatten sie rausgesetzt, um freie Bahn
zu haben. Aber trotzdem hatten sie den ganzen
Nachmittag Leute auf dem Hals. Es roch im
Hause so gut nach der Kocherei, daß die
Nachbarinnen eine nach der anderen
herunterkamen und unter einem Vorwand
eintraten, einzig und allein, um zu erfahren,
was gekocht wurde; und
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