Der Todschlaeger
denkt.
Und in der hinteren Stube waren Mama
Coupeau und sie zutiefst betrübt und rechneten
aus, daß sie mindestens zwanzig Francs
brauchten. Wo sollte man sie hernehmen, diese
vier Hundertsousstücke? Mama Coupeau, die
früher einer kleinen Schauspielerin vom
Théâtre des Batignolles den Haushalt besorgt
hatte, sprach als erste vom Leihhaus. Gervaise
lachte erleichtert auf. War sie aber dumm!
Daran hatte sie nicht mehr gedacht. Rasch
legte sie ihr schwarzes Seidenkleid in einer
Serviette zusammen, die sie mit Nadeln
zusteckte. Dann verbarg sie selber das Bündel
unter Mama Coupeaus Schürze, wobei sie ihr
einschärfte, es recht flach auf dem Bauch zu
halten wegen der Nachbarn, die es nicht zu
wissen brauchten; und sie kam an die Tür,
spähte hinaus, um zu sehen, ob niemand der
alten Frau nachging. Aber diese war noch
nicht vor dem Kohlenhändler, als sie sie
zurückrief.
»Mama! Mama!«
Sie ließ sie in den Laden zurückkommen, zog
ihren Trauring vom Finger, und sagte dabei:
»Da, tun Sie das dazu. Da kriegen wir noch
mehr.«
Und als Mama Coupeau ihr fünfundzwanzig
Francs zurückbrachte, tanzte sie vor Freude
umher. Sie ging noch sechs Flaschen
originalabgefüllten Wein mehr bestellen, der
zum Braten getrunken werden sollte. Die
Lorilleux würden an die Wand gedrückt
werden.
Seit vierzehn Tagen war dies der Traum der
Coupeaus: die Lorilleux an die Wand zu
drücken. Schlossen sich denn diese
Duckmäuser, der Mann und die Frau –
wirklich ein feines Paar –, nicht ein, wenn sie
einen guten Bissen aßen, als ob sie ihn
gestohlen hätten? Ja, sie hängten das Fenster
mit einer Decke zu, damit man das Licht nicht
sehe und annehme, sie schliefen. Natürlich
hielt das die Leute davon ab, hinaufzugehen.
Sie schmausten allein, sie schlugen sich in
aller Eile den Wanst voll, ohne ein lautes Wort
fallen zu lassen. Am nächsten Tag hüteten sie
sich sogar, die Knochen auf den Müll zu
werfen, weil man dann erfahren hätte, was sie
gegessen hatten; Frau Lorilleux ging bis ans
Ende der Straße und schmiß sie in einen Gully;
eines Morgens hatte Gervaise sie dabei
überrascht, wie sie dort ihren Korb voll
Austernschalen ausschüttete. O nein, diese
Knicker waren gewiß nicht sehr freigebig, und
alle diese Schliche rührten von ihrer Sucht her,
arm erscheinen zu wollen. Na schön, man
würde ihnen eine Lektion erteilen, man würde
ihnen beweisen, daß man nicht knauserig war.
Wenn sie gekonnt hätte, so hätte Gervaise den
Tisch quer über die Straße gestellt, bloß um
jeden Vorübergehenden einzuladen. Das Geld
ist ja nicht zum Verschimmeln erfunden
worden, nicht wahr? Hübsch sieht es aus,
wenn es ganz neu in der Sonne blinkt. Sie
hatte nun so wenig Ähnlichkeit mit den
Lorilleux, daß sie sich an den Tagen, da sie
zwanzig Sous besaß, so anstellte, daß man
denken mußte, sie besäße vierzig.
Von drei Uhr an sprachen Mama Coupeau und
Gervaise beim Decken des Tisches von den
Lorilleux. Im Schaufenster hatten sie große
Vorhänge aufgehängt; da es aber warm war,
blieb die Tür offen, die ganze Straße ging an
dem Tisch vorüber. Die beiden Frauen stellten
keine Karaffe, keine Flasche, kein Salzfäßchen
hin, ohne danach zu trachten, dabei eine für
die Lorilleux ärgerliche Absicht mit einfließen
zu lassen. Sie hatten ihnen solche Plätze
gegeben, daß sie die prächtige Ausdehnung
der gedeckten Tafel sehen konnten, und sie
behielten das schöne Geschirr für sie zurück,
wohl wissend, daß ihnen die Porzellanteller
einen Schlag versetzen würden.
»Nein, nein, Mama«, rief Gervaise, »geben Sie
ihnen nicht diese Servietten da! Ich habe zwei
aus Damast.«
»Na«, murmelte die alte Frau, »da werden sie
platzen, das steht fest.«
Und sie lächelten sich an, zu beiden Seiten
dieser großen weißen Tafel stehend, deren
vierzehn ausgerichtete Gedecke sie ganz
stolzgeschwellt machten. Das schuf gleichsam
eine Kapelle mitten im Laden.
»Warum sind sie auch so schoflig!« meinte
Gervaise. »Wissen Sie, letzten Monat haben
sie gelogen, als die Frau überall erzählt hat, sie
hätte beim Zurückbringen der Arbeit ein
Stückchen goldene Kette verloren. Wahrhaftig,
als ob die jemals was verliert! – Das war bloß
so eine Art von ihr, herumzu jammern und
Ihnen Ihre hundert Sous nicht zu geben.«
»Bis jetzt habe ich sie erst zweimal gesehen,
meine hundert Sous«, sagte Mama Coupeau.
»Wollen Sie wetten? Nächsten Monat
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