Der Todschlaeger
Weinrausch hatte. Aber er
rempelte sie an, ohne die Lippen
auseinanderzubringen, und als er vorbeiging
und von allein zu seinem Bett gelangte, hob er
die Faust gegen sie. Er glich dem anderen,
dem Säufer, der dort oben, vom Schlagen
müde, schnarchte. Da wurde ihr ganz kalt, sie
dachte gebrochenen Herzens an die Männer,
an ihren Mann, an Goujet, an Lander, und gab
die Hoffnung auf, jemals glücklich zu sein.
Kapitel VII
Gervaises Namenstag fiel auf den 19. Juni54.
An Festtagen stürzte man sich bei den
Coupeaus in Unkosten, um seine Gäste gut zu
bewirten; das waren Prassereien, von denen
man voll wie eine Haubitze, den Bauch für die
ganze Woche gefüllt, wegging. Es fand ein
Großreinemachen unter dem Geld statt. Sobald
man ein paar Sous im Haushalt hatte, wurden
sie verfressen. Man erfand Heilige im
Kalender, bloß um sich Vorwände für
Fressereien zu verschaffen. Virginie pflichtete
Gervaise tüchtig darin bei, sich gute Bissen
unter die Nase zu stopfen. Wenn man einen
Mann habe, der alles vertrinke – nicht wahr? –,
dann sei es nur recht und billig, das Haus nicht
an Schnaps draufgehen zu lassen und sich erst
mal den Magen vollzuschlagen. Da das Geld ja
trotzdem entwischte, war es besser, den
Fleischer als den Weinhändler verdienen zu
lassen. Und die genäschig gewordene Gervaise
überließ sich dieser Entschuldigung. Da war
eben nichts zu machen! Es lag an Coupeau,
wenn sie keinen roten Heller mehr sparten. Sie
war noch dicker geworden, sie hinkte noch
mehr, weil ihr Bein, das vor Fett anschwoll,
um so kürzer zu werden schien.
In diesem Jahr sprach man einen Monat im
voraus von dem Namenstag. Man suchte nach
Gerichten, man leckte sich die Lippen danach.
Der ganze Laden hatte eine verdammte Lust,
flottzumachen. Ein Mordsspaß war nötig,
etwas Außergewöhnliches und Gelungenes,
mein Gott, alle Tage konnte man sich's ja nicht
wohl sein lassen. Die größte Sorge der
Wäscherin war, zu wissen, wen sie einladen
sollte; sie wünschte sich zwölf Personen bei
Tisch, nicht mehr, nicht weniger. Sie, ihr
Mann, Mama Coupeau, Frau Lerat, das waren
schon vier Personen aus der Familie. Auch die
Goujets und die Poissons hätte sie gern da
gehabt. Zuerst hatte sie sich zwar
vorgenommen, ihre Arbeiterinnen, Frau Putois
und Clémence, nicht einzuladen, damit sie
nicht zu familiär wurden; da aber in ihrer
Gegenwart dauernd von dem Fest gesprochen
wurde und sie ein langes Gesicht machten,
sagte sie schließlich zu ihnen, sie sollten
kommen. Vier und vier macht acht, und zwei
dazu zehn. Da versöhnte sie sich, weil sie das
Dutzend unbedingt voll machen wollte, wieder
mit den Lorilleux, die seit einiger Zeit um sie
herumstrichen; zumindest wurde vereinbart,
daß die Lorilleux zum Abendessen
herunterkommen sollten und man mit dem
Glas in der Hand Frieden schließen würde.
Natürlich kann man in der Familie ja nicht
immer verfeindet bleiben. Außerdem rührte
der Gedanke an das Fest alle Herzen. Es war
eine Gelegenheit, die man unmöglich
ausschlagen konnte. Nur, als die Boches von
der geplanten Aussöhnung erfuhren, machten
sie sich sogleich wieder mit
Höflichkeitsbezeigungen und verbindlichem
Lächeln an Gervaise heran; und man mußte sie
ebenfalls bitten, bei dem Festmahl
dabeizusein. Da wäre man also nun zu
vierzehn, die Kinder nicht eingerechnet. Nie
hatte sie ein ähnliches Abendessen gegeben,
sie war darüber ganz aus dem Häuschen und
wie verklärt.
Der Namenstag fiel gerade auf einen Montag.
Das war ein Glück: Gervaise rechnete mit dem
Sonntagnachmittag, um mit dem Kochen zu
beginnen. Während die Plätterinnen am
Sonnabend ihre Arbeit hinpfuschten, gab es
eine länge Erörterung im Laden, um
herauszubekommen, was nun bestimmt
gegessen werden sollte. Ein einziges Stück
war seit drei Wochen bewilligt: eine fette
gebratene Gans. Man sprach mit gierigen
Augen davon. Die Gans war sogar schon
gekauft. Mama Coupeaü holte sie, um sie von
Clémence und Frau Putois mit der Hand
wiegen zu lassen. Und es gab Ausrufe, so
riesig wirkte das Tier mit seiner rauhen, von
gelbem Fett aufgetriebenen Haut.
»Davor Rindfleisch mit Brühe, nicht wahr?«
sagte Gervaise.
»Suppe und ein Stückchen gekochtes
Rindfleisch, das ist immer gut ... Dann müßte
ein Gericht mit Sauce kommen.«
Die lange Clémence schlug Kaninchen vor;
aber man aß ja immer nur das; allen stand das
bis zum Halse. Gervaise träumte von etwas
Vornehmerem.
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