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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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paar Mieter ereiferten sich auf
    dem Treppenflur, während Frau Boche vor der
    Tür schrie: »Wollen Sie wohl aufhören! – Wir
    holen gleich die Polizei, verstanden!«
    Niemand wagte sich in die Stube vor, weil
    man Bijard kannte, ein Vieh, wenn er besoffen
    war. Er wurde übrigens nie nüchtern. An den
    seltenen Tagen, an denen er arbeitete, stellte er
    eine Literflasche Schnaps neben seinen
    Schlosserschraubstock und trank alle halbe
    Stunden aus der Flasche. Anders hielt er sich
    nicht mehr aufrecht, er hätte Feuer gefangen
    wie eine Fackel, wenn man ein Streichholz an
    seinen Mund gehalten hätte.
    »Aber man kann doch nicht zulassen, daß sie
    zu Tode geprügelt wird!« sagte Gervaise, über
    und über zitternd. Und sie ging hinein.
    Die sehr saubere Dachstube war kahl und kalt,
    ausgeräumt durch die Trunksucht des Mannes,
    der die Bettücher wegnahm, um sie zu
    vertrinken. Bei dem Kampf war der Tisch bis
    ans Fenster gerollt, die umgerissenen beiden
    Stühle waren hingefallen und streckten die
    Beine in die Luft. In der Mitte lag auf dem
    Fliesenfußboden blutend Frau Bijard mit noch
    vom

    Wasser

    des

    Waschhauses
    durchgeweichten und an den Schenkeln
    klebenden Röcken und ausgerissenen Haaren
    und röchelte, schwer atmend, mit
    langgezogenen Schmerzensschreien bei jedem
    Fersenhieb Bijards. Erst hatte er sie mit beiden
    Fäusten niedergeschlagen; nun trampelte er
    auf ihr herum.
    »Oh, du Miststück! – Oh, du Miststück! – Oh,
    du Miststück!« knurrte er mit erstickter
    Stimme und begleitete dabei jeden Tritt mit
    diesem Wort, dies immer wiederholte Wort
    brachte ihn ganz von Sinnen, er schlug um so
    stärker zu, je mehr er sich heiser schrie.
    Dann versagte ihm die Stimme, er hieb weiter
    stumpf, verrückt drauflos, steif geworden in
    seiner zerlumpten blauen Leinenhose und
    Arbeitsjacke, das Gesicht mit der von großen
    roten Flecken gesprenkelten kahlen Stirn blau
    angelaufen unter dem schmutzigen Bart.
    Die Nachbarn auf dem Treppenflur sagten, er
    schlage sie, weil sie ihm am Morgen zwanzig
    Sous verweigert habe.
    Unten an der Treppe war Boches Stimme zu
    hören. Er rief Frau Boche und schrie ihr zu:
    »Komm runter, laß sie sich umbringen, das
    ergibt etwas Pack weniger!«
    Inzwischen war Vater Bru Gervaise in die
    Stube gefolgt. Beide bemühten sich, den
    Schlosser zur Vernunft zu bringen, ihn nach
    der Tür zu drängen. Aber er drehte sich um,
    stumm, Schaum auf den Lippen; und in seinen
    blassen Augen flammte der Alkohol, entfachte
    eine Mordflamme. Der Wäscherin wurde das
    Handgelenk gequetscht; der alte Arbeiter fiel
    fast auf den Tisch. Am Boden atmete Frau
    Bijard noch schwerer mit weit geöffnetem
    Mund, geschlossenen Lidern. Jetzt verfehlte
    Bijard sie; er kam zurück, verbiß sich in seine
    Wut, schlug rasend und blind daneben und traf
    sich selber mit den Hieben, die er ins Leere
    führte. Und während dieser ganzen Metzelei
    sah Gervaise in einer Ecke der Stube die jetzt
    vier Jahre alte kleine Lalie, die zusah, wie ihr
    Vater ihre Mutter totschlug. Das Kind hielt,
    wie um sie zu beschützen, seine Schwester
    Henriette, die erst seit kurzem entwöhnt war,
    in den Armen, es stand aufrecht da, den Kopf
    in eine Haube aus bedrucktem Kattun
    gezwängt, sehr blaß, mit ernster Miene. Es
    hatte einen weiten, schwarzen Blick von
    gedankenvoller Starrheit, ohne eine Träne.
    Als Bijard auf einen Stuhl gestoßen und der
    Länge nach auf den Fliesenfußboden gefallen
    war, wo man ihn schnarchen ließ, half Vater
    Bru Gervaise, Frau Bijard wieder aufzurichten.
    Diese weinte nun, heftig schluchzend; und
    Lalie, die näher gekommen war, sah zu, wie
    sie weinte, an diese Dinge gewöhnt, bereits
    schicksalergeben. Als Gervaise wieder
    hinunterging, sah sie inmitten des ruhig
    gewordenen Hauses diesen Blick des
    vierjährigen Kindes immer noch, der ernst und
    mutig war wie der Blick einer Frau.
    »Herr Coupeau steht auf dem Bürgersteig
    gegenüber«, rief ihr Clémence zu, sobald sie
    sie erblickte. »Er sieht ganz schön voll aus!«
    Coupeau überquerte gerade die Straße.
    Beinahe hätte er mit einem Schulterruck eine
    Scheibe eingedrückt, als er die Tür verfehlte.
    Er war sternhagelbesoffen, hatte die Zähne
    zusammengebissen, die Nase verkniffen. Und
    sofort erkannte Gervaise den Sprit aus dem
    »Totschläger« in dem vergifteten Blut wieder,
    das seine Haut bleich machte. Sie wollte
    lachen, ihn zu Bett bringen, wie sie es an den
    Tagen zu machen pflegte, da er einen
    gutmütigen

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