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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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werden
    sie eine andere Geschichte erfinden ... Das
    erklärt, warum sie ihr Fenster verhängen, wenn
    sie ein Kaninchen essen. Nicht wahr, man
    wäre doch berechtigt, zu ihnen zu sagen: ›Da
    ihr ja ein Kaninchen eßt, könnt ihr eurer
    Mutter doch wohl hundert Sous geben.‹ Oh,
    die sind gerissen! – Was wäre wohl aus Ihnen
    geworden, wenn ich Sie nicht zu uns
    genommen hätte?«
    Mama Coupeau wackelte mit dem Kopf. An
    diesem Tage war sie ganz und gar gegen die
    Lorilleux wegen des großen Festmahles, das
    die Coupeaus gaben. Sie liebte die Kocherei,
    die Schwatzereien rings um die Kasserollen,
    die von den Festtagsgelagen in Unruhe
    versetzten Häuser. Im übrigen verstand sie
    sich für gewöhnlich ziemlich gut mit Gervaise.
    An anderen Tagen, wenn sie sich miteinander
    kabbelten, wie es in allen Haushalten
    vorkommt, murrte die alte Frau, bezeichnete
    sich als schrecklich unglücklich, daß sie so auf
    die Gnade ihrer Schwiegertochter angewiesen
    sei. Im Grunde mußte sie eine zärtliche Liebe
    zu Frau Lorilleux hegen; schließlich war das ja
    ihre Tochter.
    »Was«, sagte Gervaise abermals, »bei denen
    wären Sie nicht so dick. Und keinen Kaffee,
    keinen Tabak, keinerlei Süßigkeit! – Sagen
    Sie, hätten die Ihnen etwa zwei Matratzen ins
    Bett gelegt?«
    »Nein, bestimmt nicht«, erwiderte Mama
    Coupeau. »Wenn sie hereinkommen, stelle ich
    mich der Tür gegenüber, um zu sehen, was sie
    für ein Gesicht machen.«
    Das Gesicht, das die Lorilleux machen
    würden, erheiterte sie beide im voraus. Aber es
    galt, hier nicht festgepflanzt zu bleiben und
    den Tisch zu betrachten. Die Coupeaus hatten
    sehr spät, gegen ein Uhr, Mittag gegessen, ein
    bißchen Aufschnitt, weil die drei Herde bereits
    besetzt waren und sie das für den Abend
    abgewaschene Geschirr nicht schmutzig
    machen wollten. Um vier Uhr war bei den
    beiden Frauen Hochbetrieb. Die Gans briet vor
    einem Röstschirm, den man neben dem
    offenen Fenster auf der Erde gegen die Wand
    gestellt hatte, und das Tier war so groß, daß
    man es mit Gewalt in den Röstapparat hatte
    hineinpressen müssen Die Schielliese
    Augustine, die auf einer Fußbank saß und den
    feurigen Widerschein des Röstschirms voll
    abbekam, begoß die Gans gewichtig mit einem
    langstieligen Löffel. Gervaise kümmerte sich
    um die Erbsen mit Speck. Mama Coupeau, die
    inmitten all dieser Gerichte den Kopf verloren
    hatte, drehte sich hin und her, wartete auf den
    Augenblick, da sie den Schweinerücken und
    das Kalbsfrikassee zum Warmmachen
    aufsetzen konnte.
    Gegen fünf Uhr trafen allmählich die Gäste
    ein. Das waren zunächst die beiden
    Arbeiterinnen, Clémence und Frau Putois,
    beide im Sonntagsstaat, die erste in Blau, die
    zweite in Schwarz; Clémence hielt eine
    Geranie in der Hand, Frau Putois eine Dolde
    Heliotrop. Und Gervaise, deren Hände gerade
    weiß vom Mehl waren, mußte jeder von ihnen,
    die Hände nach hinten gestreckt, zwei
    schallende Küsse geben. Ihnen auf den Fersen
    folgend, trat dann Virginie ein, wie eine Dame
    gekleidet, in einem bedruckten Musselinkleid
    mit einer Schärpe und mit Hut, obgleich sie
    lediglich über die Straße zu gehen brauchte.
    Sie brachte einen Topf roter Nelken. Sie nahm
    die Wäscherin selbst in ihre großen Arme und
    drückte sie heftig. Schließlich erschienen
    Boche mit einem Topf Stiefmütterchen, Frau
    Boche mit einem Topf Reseda und Frau Lerat
    mit einem Topf Zitronenkraut, dessen Erde ihr
    violettes Merinokleid beschmutzt hatte. All
    diese Leute umarmten sich, pferchten sich im
    Zimmer zusammen inmitten der drei Herde
    und des Röstschirms, von denen eine
    erstickende Hitze aufstieg. Das Gebrutzel der
    Pfannen übertönte die Stimmen. Ein Kleid, das
    am Röstapparat hängenblieb, verursachte
    Aufregung. Es roch so stark nach der Gans,
    daß sich die Nasen weiteten. Und Gervaise
    war sehr liebenswürdig, dankte jedem für sein
    Geschenk, ohne deswegen aufzuhören, die
    Schwitze für das Kalbsfrikassee in einem
    tiefen Teller anzurühren. Sie hatte die
    Blumentöpfe im Laden an das Ende des
    Tisches gestellt, ohne ihre hohen weißen
    Papiermanschetten abzumachen. Ein süßer
    Blumenduft mischte sich in den
    Küchengeruch.
    »Sollen wir Ihnen helfen?« fragte Virginie.
    »Wenn ich bedenke, daß Sie seit drei Tagen an
    diesem ganzen Essen arbeiten und daß das
    gleich im Nu weggeramscht wird!«
    »Freilich!« erwiderte Gervaise. »Von allein
    würde das nicht zustande kommen ... Nein,
    machen Sie sich nicht die Hände

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