Der Todschlaeger
werden
sie eine andere Geschichte erfinden ... Das
erklärt, warum sie ihr Fenster verhängen, wenn
sie ein Kaninchen essen. Nicht wahr, man
wäre doch berechtigt, zu ihnen zu sagen: ›Da
ihr ja ein Kaninchen eßt, könnt ihr eurer
Mutter doch wohl hundert Sous geben.‹ Oh,
die sind gerissen! – Was wäre wohl aus Ihnen
geworden, wenn ich Sie nicht zu uns
genommen hätte?«
Mama Coupeau wackelte mit dem Kopf. An
diesem Tage war sie ganz und gar gegen die
Lorilleux wegen des großen Festmahles, das
die Coupeaus gaben. Sie liebte die Kocherei,
die Schwatzereien rings um die Kasserollen,
die von den Festtagsgelagen in Unruhe
versetzten Häuser. Im übrigen verstand sie
sich für gewöhnlich ziemlich gut mit Gervaise.
An anderen Tagen, wenn sie sich miteinander
kabbelten, wie es in allen Haushalten
vorkommt, murrte die alte Frau, bezeichnete
sich als schrecklich unglücklich, daß sie so auf
die Gnade ihrer Schwiegertochter angewiesen
sei. Im Grunde mußte sie eine zärtliche Liebe
zu Frau Lorilleux hegen; schließlich war das ja
ihre Tochter.
»Was«, sagte Gervaise abermals, »bei denen
wären Sie nicht so dick. Und keinen Kaffee,
keinen Tabak, keinerlei Süßigkeit! – Sagen
Sie, hätten die Ihnen etwa zwei Matratzen ins
Bett gelegt?«
»Nein, bestimmt nicht«, erwiderte Mama
Coupeau. »Wenn sie hereinkommen, stelle ich
mich der Tür gegenüber, um zu sehen, was sie
für ein Gesicht machen.«
Das Gesicht, das die Lorilleux machen
würden, erheiterte sie beide im voraus. Aber es
galt, hier nicht festgepflanzt zu bleiben und
den Tisch zu betrachten. Die Coupeaus hatten
sehr spät, gegen ein Uhr, Mittag gegessen, ein
bißchen Aufschnitt, weil die drei Herde bereits
besetzt waren und sie das für den Abend
abgewaschene Geschirr nicht schmutzig
machen wollten. Um vier Uhr war bei den
beiden Frauen Hochbetrieb. Die Gans briet vor
einem Röstschirm, den man neben dem
offenen Fenster auf der Erde gegen die Wand
gestellt hatte, und das Tier war so groß, daß
man es mit Gewalt in den Röstapparat hatte
hineinpressen müssen Die Schielliese
Augustine, die auf einer Fußbank saß und den
feurigen Widerschein des Röstschirms voll
abbekam, begoß die Gans gewichtig mit einem
langstieligen Löffel. Gervaise kümmerte sich
um die Erbsen mit Speck. Mama Coupeau, die
inmitten all dieser Gerichte den Kopf verloren
hatte, drehte sich hin und her, wartete auf den
Augenblick, da sie den Schweinerücken und
das Kalbsfrikassee zum Warmmachen
aufsetzen konnte.
Gegen fünf Uhr trafen allmählich die Gäste
ein. Das waren zunächst die beiden
Arbeiterinnen, Clémence und Frau Putois,
beide im Sonntagsstaat, die erste in Blau, die
zweite in Schwarz; Clémence hielt eine
Geranie in der Hand, Frau Putois eine Dolde
Heliotrop. Und Gervaise, deren Hände gerade
weiß vom Mehl waren, mußte jeder von ihnen,
die Hände nach hinten gestreckt, zwei
schallende Küsse geben. Ihnen auf den Fersen
folgend, trat dann Virginie ein, wie eine Dame
gekleidet, in einem bedruckten Musselinkleid
mit einer Schärpe und mit Hut, obgleich sie
lediglich über die Straße zu gehen brauchte.
Sie brachte einen Topf roter Nelken. Sie nahm
die Wäscherin selbst in ihre großen Arme und
drückte sie heftig. Schließlich erschienen
Boche mit einem Topf Stiefmütterchen, Frau
Boche mit einem Topf Reseda und Frau Lerat
mit einem Topf Zitronenkraut, dessen Erde ihr
violettes Merinokleid beschmutzt hatte. All
diese Leute umarmten sich, pferchten sich im
Zimmer zusammen inmitten der drei Herde
und des Röstschirms, von denen eine
erstickende Hitze aufstieg. Das Gebrutzel der
Pfannen übertönte die Stimmen. Ein Kleid, das
am Röstapparat hängenblieb, verursachte
Aufregung. Es roch so stark nach der Gans,
daß sich die Nasen weiteten. Und Gervaise
war sehr liebenswürdig, dankte jedem für sein
Geschenk, ohne deswegen aufzuhören, die
Schwitze für das Kalbsfrikassee in einem
tiefen Teller anzurühren. Sie hatte die
Blumentöpfe im Laden an das Ende des
Tisches gestellt, ohne ihre hohen weißen
Papiermanschetten abzumachen. Ein süßer
Blumenduft mischte sich in den
Küchengeruch.
»Sollen wir Ihnen helfen?« fragte Virginie.
»Wenn ich bedenke, daß Sie seit drei Tagen an
diesem ganzen Essen arbeiten und daß das
gleich im Nu weggeramscht wird!«
»Freilich!« erwiderte Gervaise. »Von allein
würde das nicht zustande kommen ... Nein,
machen Sie sich nicht die Hände
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