Der Todschlaeger
gerechter werden. Um Zolas
»Totschläger« heute im französischen Original
lesen zu können, muß man auch bei
ausgezeichneten Sprachkenntnissen das
Argotwörterbuch zu Rate ziehen, und auch
dann noch ergeben sich viele Schwierigkeiten.
Eine Übersetzung zu liefern, für die der Leser
vielleicht in dreißig Jahren ebenfalls ein
Spezialwörterbuch des Berliner Dialekts von
1970 brauchte, oder ihm eine Übersetzung in
die Hand zu geben, die den Dialekt der
sechziger und siebziger Jahre des vorigen
Jahrhunderts nachahmt und dann vielleicht
unmittelbar einer Erklärung bedürfte, schien
gleichermaßen wenig ratsam.
Doch die Angriffe gegen Zolas Stil kamen
nicht nur, weil er seine Gestalten in dieser
Sprache reden ließ, sondern weil er auch weite
Teile der Darstellung gleichsam aus ihrer Sicht
schrieb und sich folglich auch in diesen
erzählenden Teilen ihrer Ausdrucksformen
bediente. Eine Ausnahme in Wortwahl und
Stilhöhe bilden lediglich die reinen Sach oder
Ortsbeschreibungen, in denen Zola oft fast
lyrische, zumindest stark pathetische Töne
anschlägt. Vom literarhistorischstilistischen
Gesichtspunkt aus liegt in der fast
durchgängigen
Verlagerung
der
Erzählerperspektive
von
der
Autorenperspektive in die Figurenperspektive
gerade eines der interessantesten Probleme
und, unter dem Aspekt der künstlerischen
Wirkung betrachtet, die Lösung für das
Geheimnis der durchgängigen Atmosphäre. In
der Fachsprache bezeichnet man dieses
Stilmittel als erlebte Rede. Zola verwendet es
mannigfach variiert, bald um die Kommentare
der Tischgesellschaften in das Hochzeitsmahl
oder in den Geburtstagsschmaus einzublenden,
bald um die Eindrücke beim Besuch des,
Louvre und bei der Besteigung der
VendômeSäule wiederzugeben, bald um dem
Klatsch des ganzen Viertels Goutte d'Or über
Gervaise und Lantier Stimme zu verleihen,
ohne daß aus diesem unsichtbaren und doch
ständig spürbaren Chor eine Gestalt besonders
hervorzutreten brauchte, bald zur Variierung
und Fortführung eines Dialogs oder auch zur
Wiedergabe der inneren Überlegungen und
Selbstgespräche seiner Personen mit den
vielfältigsten Übergängen und Einführungen,
immer aber, um die Grenzen zwischen
auktorialer Erzählung und personaler
Handlung fließend zu machen, störende
Unterbrechungen zu vermeiden, die Phantasie
des Lesers zum schöpferischen Miterleben
anzuregen und die Lebendigkeit unmittelbarer
Teilnahme am Geschehen zu erzeugen.
Diesem wirkungsstrategischen Ziel ist die
Darstellung durchgängig untergeordnet. In
diesem Zusammenhang sei noch an eine
andere Eigenheit seiner Beschreibungskunst
erinnert: die Wirksamkeit und Eindruckskraft
seiner Bilder beruht nicht zuletzt auch darauf,
daß er wesentliche Elemente immer wieder
anführt und daß er es vor allem versteht, den
Gesamteindruck in einem einprägsamen
Schlußbild noch einmal zusammenzufassen,
Mittel, die dem Rednerstil zugehören und auf
agitatorische Wirkung berechnet sind.
Gerade das ist aber Zolas Anliegen. Er möchte
mit seinen Büchern die Menschen aufrütteln,
ihnen die »Wunden ihres Lebens« zeigen und
sie anregen, daraus die notwendigen Schlüsse
für ihr eigenes Leben zu ziehen.
ebook - Erstellung Februar 2010 - TUX
Ende
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