Der Todschlaeger
sich selbst
auf einen Stuhl, mit zerschlagenen Gliedern,
mit an ihrem schmutzigen Rock
herabgesunkenen Händen. Und eine
Viertelstunde lang saß sie ihm gegenüber,
ohne etwas zu sagen.
»Ich habe Nachricht erhalten«, murmelte sie
schließlich. »Man hat deine Tochter gesehen ...
Ja, deine Tochter ist sehr schick und braucht
dich nicht mehr. Die ist schön glücklich, du
meine Güte! – Ach, Herrgott noch mal, ich
gäbe was drum, wenn ich an ihrer Stelle sein
könnte!«
Coupeau betrachtete immer noch den
Fliesenfußboden. Dann hob er sein
verwüstetes Gesicht, er lachte blöde und lallte:
»Hör mal, mein Schätzchen, ich halte dich
nicht ... Du bist noch gar nicht allzu übel,
wenn du dir das Gesicht wäschst. Du weißt ja,
wie man sagt, gibt es keinen Topf, der so alt
ist, daß er nicht seinen Deckel findet ... Na ja,
wenn das den Kohl fett machen sollte!«
Kapitel XII
Es war wohl am Sonnabend nach der
Fälligkeit der Vierteljahresmiete, so um den
12. oder 13. Januar herum. Genau wußte
Gervaise es nicht mehr. Sie verlor den Grips,
weil es eine Ewigkeit her war, daß sie nichts
Warmes in den Bauch bekommen hatte. Ach,
was für eine höllische Woche! Ein völliges
Ausgeplündertsein, zwei Vierpfundbrote am
Dienstag, die bis zum Donnerstag gereicht
hatten, dann eine am Vortage wiedergefundene
trockene Kruste, und seit sechsunddreißig
Stunden nicht ein Krümel, ein wahres Getanze
vor dem Speiseschrank! Was sie zum Beispiel
wußte, was sie auf ihrem Rücken spürte, das
war das Hundewetter, eine düstere Kälte, ein
Himmel, der verschmiert war wie der Boden
einer Bratpfanne und vor Schnee barst, der
hartnäckigerweise nicht fallen wollte. Wenn
man Winter und Hunger in den Kaidaunen hat,
dann kann man seinen Gürtel enger schnallen,
das macht einen kaum satt.
Vielleicht würde Coupeau am Abend Geld
mitbringen. Er sagte, daß er arbeite. Möglich
ist ja alles, nicht wahr? Und Gervaise die doch
so manches Mal reingefallen war, rechnete
schließlich mit diesem Gelde. Nach allerlei
Geschichten fand sie im Viertel nicht einmal
mehr ein Wischtuch zum Waschen; sogar eine
alte Dame, deren Haushalt sie besorgte, hatte
sie eben unter der Beschuldigung
hinausgeschmissen, sie trinke ihre Liköre.
Nirgends wollte man sie haben, sie war am
Ende, was ihr im Grunde recht war, denn sie
war auf den Grad der Vertiertheit
herabgesunken, da man lieber verreckt, als
seine zehn Finger zu rühren. Kurz und gut,
wenn Coupeau seinen Lohn nach Hause
brachte, würde man etwas Warmes essen. Und
bis dahin blieb sie, da es noch nicht zwölf
geschlagen hatte, ausgestreckt auf dem
Strohsack liegen, weil man weniger friert und
weniger hungrig ist, wenn man ausgestreckt
liegt.
Gervaise bezeichnete das als Strohsack; aber
in Wirklichkeit war es nur ein Strohhaufen in
einer Ecke. Nach und nach war das Heiabett
zu den Trödlern des Viertels gewandert. Zuerst
hatte sie an Tagen, da sie in der Patsche saß,
die Matratze aufgetrennt, aus der sie Hände
voll Wolle herausnahm, die sie in ihrer
Schürze hinaustrug und in der Rue Belhomme
für zehn Sous das Pfund verkaufte. Nachdem
die Matratze ausgeleert war, hatte sie sich
sodann eines Morgens mit dem Leinen dreißig
Sous verschafft, um sich Kaffee zu leisten. Die
Kopfkissen waren gefolgt, dann die Kopfrolle.
Übrig blieb das Bettgestell, das sie wegen der
Boches nicht unter den Arm nehmen konnte;
die würden das Haus aufgewiegelt haben,
wenn sie gesehen hätten, daß das verduftete,
woran sich der Hausbesitzer hätte schadlos
halten können. Und dennoch lauerte sie, bis
eines Abends die Boches eine große Fresserei
hielten, und sie schaffte das Bett seelenruhig
Stück für Stück hinaus, wobei Coupeau ihr
half, die Seitenwände, den Kopf und Fußteil
und den Unterrahmen. Von den zehn Francs,
dem Erlös dieses Verscheuerns, praßten sie
drei Tage. Genügte der Strohsack etwa nicht?
Sogar das Leinen hatte sich zu dem der
Matratze gesellt; so hatten sie das Heiabett
vollends aufgegessen und sich nach
vierundzwanzigstündigem Heißhunger am
Essen den Magen verdorben. Man fegte das
Stroh ein bißchen mit dem Besen zusammen,
und die Falle war stets durchgeschüttelt, und
schmutziger als etwas anderes war das auch
nicht.
Auf dem Strohhaufen lag Gervaise völlig
angekleidet krumm wie ein Gewehrhahn, die
Pfoten unter ihren zerlumpten Unterrock
hochgezogen, um es wärmer zu haben. Und in
sich zusammengekrochen,
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