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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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sich selbst
    auf einen Stuhl, mit zerschlagenen Gliedern,
    mit an ihrem schmutzigen Rock
    herabgesunkenen Händen. Und eine
    Viertelstunde lang saß sie ihm gegenüber,
    ohne etwas zu sagen.
    »Ich habe Nachricht erhalten«, murmelte sie
    schließlich. »Man hat deine Tochter gesehen ...
    Ja, deine Tochter ist sehr schick und braucht
    dich nicht mehr. Die ist schön glücklich, du
    meine Güte! – Ach, Herrgott noch mal, ich
    gäbe was drum, wenn ich an ihrer Stelle sein
    könnte!«
    Coupeau betrachtete immer noch den
    Fliesenfußboden. Dann hob er sein
    verwüstetes Gesicht, er lachte blöde und lallte:
    »Hör mal, mein Schätzchen, ich halte dich
    nicht ... Du bist noch gar nicht allzu übel,
    wenn du dir das Gesicht wäschst. Du weißt ja,
    wie man sagt, gibt es keinen Topf, der so alt
    ist, daß er nicht seinen Deckel findet ... Na ja,
    wenn das den Kohl fett machen sollte!«

    Kapitel XII
    Es war wohl am Sonnabend nach der
    Fälligkeit der Vierteljahresmiete, so um den
    12. oder 13. Januar herum. Genau wußte
    Gervaise es nicht mehr. Sie verlor den Grips,
    weil es eine Ewigkeit her war, daß sie nichts
    Warmes in den Bauch bekommen hatte. Ach,
    was für eine höllische Woche! Ein völliges
    Ausgeplündertsein, zwei Vierpfundbrote am
    Dienstag, die bis zum Donnerstag gereicht
    hatten, dann eine am Vortage wiedergefundene
    trockene Kruste, und seit sechsunddreißig
    Stunden nicht ein Krümel, ein wahres Getanze
    vor dem Speiseschrank! Was sie zum Beispiel
    wußte, was sie auf ihrem Rücken spürte, das
    war das Hundewetter, eine düstere Kälte, ein
    Himmel, der verschmiert war wie der Boden
    einer Bratpfanne und vor Schnee barst, der
    hartnäckigerweise nicht fallen wollte. Wenn
    man Winter und Hunger in den Kaidaunen hat,
    dann kann man seinen Gürtel enger schnallen,
    das macht einen kaum satt.
    Vielleicht würde Coupeau am Abend Geld
    mitbringen. Er sagte, daß er arbeite. Möglich
    ist ja alles, nicht wahr? Und Gervaise die doch
    so manches Mal reingefallen war, rechnete
    schließlich mit diesem Gelde. Nach allerlei
    Geschichten fand sie im Viertel nicht einmal
    mehr ein Wischtuch zum Waschen; sogar eine
    alte Dame, deren Haushalt sie besorgte, hatte
    sie eben unter der Beschuldigung
    hinausgeschmissen, sie trinke ihre Liköre.
    Nirgends wollte man sie haben, sie war am
    Ende, was ihr im Grunde recht war, denn sie
    war auf den Grad der Vertiertheit
    herabgesunken, da man lieber verreckt, als
    seine zehn Finger zu rühren. Kurz und gut,
    wenn Coupeau seinen Lohn nach Hause
    brachte, würde man etwas Warmes essen. Und
    bis dahin blieb sie, da es noch nicht zwölf
    geschlagen hatte, ausgestreckt auf dem
    Strohsack liegen, weil man weniger friert und
    weniger hungrig ist, wenn man ausgestreckt
    liegt.
    Gervaise bezeichnete das als Strohsack; aber
    in Wirklichkeit war es nur ein Strohhaufen in
    einer Ecke. Nach und nach war das Heiabett
    zu den Trödlern des Viertels gewandert. Zuerst
    hatte sie an Tagen, da sie in der Patsche saß,
    die Matratze aufgetrennt, aus der sie Hände
    voll Wolle herausnahm, die sie in ihrer
    Schürze hinaustrug und in der Rue Belhomme
    für zehn Sous das Pfund verkaufte. Nachdem
    die Matratze ausgeleert war, hatte sie sich
    sodann eines Morgens mit dem Leinen dreißig
    Sous verschafft, um sich Kaffee zu leisten. Die
    Kopfkissen waren gefolgt, dann die Kopfrolle.
    Übrig blieb das Bettgestell, das sie wegen der
    Boches nicht unter den Arm nehmen konnte;
    die würden das Haus aufgewiegelt haben,
    wenn sie gesehen hätten, daß das verduftete,
    woran sich der Hausbesitzer hätte schadlos
    halten können. Und dennoch lauerte sie, bis
    eines Abends die Boches eine große Fresserei
    hielten, und sie schaffte das Bett seelenruhig
    Stück für Stück hinaus, wobei Coupeau ihr
    half, die Seitenwände, den Kopf und Fußteil
    und den Unterrahmen. Von den zehn Francs,
    dem Erlös dieses Verscheuerns, praßten sie
    drei Tage. Genügte der Strohsack etwa nicht?
    Sogar das Leinen hatte sich zu dem der
    Matratze gesellt; so hatten sie das Heiabett
    vollends aufgegessen und sich nach
    vierundzwanzigstündigem Heißhunger am
    Essen den Magen verdorben. Man fegte das
    Stroh ein bißchen mit dem Besen zusammen,
    und die Falle war stets durchgeschüttelt, und
    schmutziger als etwas anderes war das auch
    nicht.
    Auf dem Strohhaufen lag Gervaise völlig
    angekleidet krumm wie ein Gewehrhahn, die
    Pfoten unter ihren zerlumpten Unterrock
    hochgezogen, um es wärmer zu haben. Und in
    sich zusammengekrochen,

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