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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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die Augen weit
    geöffnet, wälzte sie an diesem Tage keine
    spaßigen Gedanken. Ach nein, zum
    Donnerwetter noch mal! Man konnte nicht so
    weiterleben, ohne zu essen! Sie spürte ihren
    Hunger nicht mehr; bloß lag ihr was wie Blei
    im Magen, während der Schädel ihr leer
    vorkam. In den vier Ecken der Bruchbude fand
    sie bestimmt keinen Anlaß zur Heiterkeit! Ein
    wahres Hundeloch war das nun, in dem die
    Windhündinnen, die auf der Straße Jäckchen
    tragen, nicht mal begraben sein möchten. Ihre
    blassen Augen betrachteten die kahlen Wände.
    Längst hatte das Leihhaus alles
    weggenommen. Übrig blieben die Kommode,
    der Tisch und ein Stuhl; auch die
    Marmorplatte und die Schubladen der
    Kommode hatten sich noch auf demselben
    Wege wie das Bettgestell verflüchtigt. Ein
    Brand hätte das nicht besser wegputzen
    können; der Kleinkram war weggeschmolzen,
    angefangen mit der Taschenzwiebel, einer Uhr
    zu zwölf Francs, bis zu den
    Familienphotographien, deren Rahmen ihr
    eine Händlerin abgekauft hatte; eine sehr
    gefällige Händlerin, zu der sie eine Kasserolle,
    ein Bügeleisen, einen Kamm hintrug und die
    ihr je nach dem Gegenstand fünf Sous, drei
    Sous oder zwei Sous verabfolgte, genug, um
    mit einem Stück Brot wieder hinaufzugehen.
    Jetzt blieb nur noch eine zerbrochene alte
    Lichtputzschere übrig, für die die Händlerin
    ihr keinen Sou geben wollte. Oh, hätte sie
    gewußt, wem sie den Unrat, den Staub und den
    Dreck verkaufen könnte, so hätte sie schnell
    einen Laden eröffnet, denn in der Stube
    herrschte ein schöner Schmutz! Sie erblickte
    nur Spinnweben in den Ecken, und
    Spinnweben sind vielleicht gut für
    Schnittwunden, aber es gibt noch keinen
    Handelsmann, der sie kauft. Da ließ sie die
    Hoffnung, noch etwas zu verhökern, fahren,
    krümmte sich, ganz schwindlig im Kopf, noch
    mehr auf ihrem Strohsack zusammen, sie zog
    es vor, durch das Fenster den schneebeladenen
    Himmel zu betrachten, einen traurigen Tag,
    der ihr das Mark in den Knochen zu Eis
    erstarren ließ.
    Was für Widerwärtigkeiten! Aber wozu solche
    Zustände kriegen und sich das Gehirn
    zermartern? Hätte sie wenigstens pennen
    können! Aber ihr Saustall von Bude ging ihr
    im Kopf herum. Am Vortage war Herr
    Marescot, der Hausbesitzer, selbst gekommen,
    um ihnen zu sagen, daß er sie exmittieren
    werde, wenn sie die beiden rückständigen
    Quartale nicht binnen acht Tagen bezahlten.
    Na schön, dann würde er sie eben exmittieren,
    auf dem Straßenpflaster würden sie sicher
    auch nicht schlimmer dran sein! Sieh mal einer
    diesen Schweinigel mit seinem Überzieher und
    seinen Wollhandschuhen an, der heraufkam,
    um zu ihnen von den Quartalsmieten zu
    sprechen, als ob sie irgendwo einen
    Sparstrumpf versteckt hätten! Verdammt noch
    mal! Da hätte sie sich, statt sich die Gurgel
    zusammenzuschnüren, doch zuerst mal was in
    die Backen gestopft! Wahrhaftig, sie fand ihn
    zu hundsgemein, diesen Dickwanst, der konnte
    ihr sonstwo! Es war wie mit ihrem Coupeau,
    diesem Vieh, der nicht mehr heimkommen
    konnte, ohne ihr die Jacke zu versohlen; der
    konnte ihr an derselben Stelle wie der
    Hausbesitzer. Jetzt mußte diese Stelle bei ihr
    verdammt geräumig sein, denn alle Welt
    konnte ihr dort, so satt hatte sie die Menschen
    und das Leben. Sie wurde ein richtiger
    Abladeplatz für Faustschläge. Coupeau hatte
    einen Knüppel, den er seinen Eselinnenfächer
    nannte; und er befächelte seine Alte, das
    mußte man sehen! – Abscheuliche
    Abreibungen, aus denen sie schweißtriefend
    hervorging. Sie, die auch nicht besser war, biß
    und kratzte. Dann keilte man sich in der leeren
    Stube herum, Raufereien, bei denen sie sich
    beinahe um die Ecke brachten. Doch am Ende
    pfiff sie auf die Hiebe wie auf alles übrige.
    Coupeau mochte ganze Wochen lang blauen
    Montag machen, Kneiptouren unternehmen,
    die Monate dauerten, verrückt vor Suff
    heimkommen und sie verbimsen wollen – sie
    hatte sich daran gewöhnt, sie fand ihn
    unausstehlich, nicht mehr. Und an diesen
    Tagen konnte er ihr am Hintern. Jawohl, am
    Hintern konnte ihr ihr Schwein von einem
    Mann! Am Hintern die Lorilleux, die Boches
    und die Poissons! Am Hintern das Stadtviertel,
    das sie verachtete! Ganz Paris konnte ihr dort,
    und sie drückte es mit einem Klaps da hinein,
    mit einer Gebärde höchster Gleichgültigkeit,
    jedoch glücklich und gerächt, es dort
    hineinstopfen zu können.
    Wenn man sich auch an alles gewöhnt, so hat
    man es sich leider noch nicht

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