Der Todschlaeger
starren Augen stehen.
Na, wenn schon! Sollten sie sagen, was sie
wollten, sie würde ihnen die Füße lecken,
wenn sie es verlangten, aber sie ging hin, um
von den Lorilleux zehn Sous zu borgen.
Im Winter gab es auf diesem Aufgang des
Hauses, dem Aufgang der armen Schlucker,
ein ständiges Borgen von zehn Sous, von
zwanzig Sous, kleine Gefälligkeiten, die diese
Hungerleider einander erwiesen. Nur wäre
man lieber gestorben, als sich an die Lorilleux
zu wenden, weil man wußte, daß sie nur allzu
ungern etwas herausrückten. Wenn Gervaise
hinging und bei ihnen anklopfte, so bewies sie
großen Mut. Auf dem Korridor hatte sie noch
solche Angst, daß sie sich nun jäh erleichtert
fühlte wie Leute, die beim Zahnarzt klingeln.
»Herein!« rief die schrille Stimme des
Kettenmachers.
Wie angenehm es da drinnen war! Die
Schmiede flammte und setzte die schmale
Werkstatt mit ihrer weißen Flamme in Brand,
während Frau Lorilleux einen Knäuel
Golddraht abglühte. Lorilleux schwitzte an
seinem Arbeitstisch, so warm war ihm beim
Löten der Ösen mit dem Lötrohr. Und es roch
gut, auf dem Ofen schmorte eine Kohlsuppe
und strömte einen Dunst aus, der Gervaise den
Magen umdrehte und sie fast ohnmächtig
werden ließ.
»Ach, Sie sind es«, brummte Frau Lorilleux,
ohne ihr auch nur zu sagen, sie solle sich
setzen. »Was wollen Sie denn?«
Gervaise antwortete nicht. Sie stand sich in
dieser Woche nicht allzu schlecht mit den
Lorilleux. Aber die Bitte um die zehn Sous
blieb ihr in der Kehle stecken, weil sie soeben
Boche erblickt hatte, der breitspurig neben
dem Ofen saß und im Begriff war,
Klatschereien zu erzählen. Er sah aus, als
könnten ihm die Leute den Buckel
runterrutschen, dieses Rindvieh! Er lachte wie
ein Arsch, mit dem gerundeten Loch des
Mundes und den Backen, die so aufgeblasen
waren, daß sie seine Nase verbargen; kurzum
ein richtiger Arsch!
»Was wollen Sie denn?« wiederholte
Lorilleux.
»Haben Sie Coupeau nicht gesehen?«
stammelte Gervaise schließlich. »Ich glaubte,
er wäre hier.«
Die Kettenmacher und der Concierge grinsten.
Nein, bestimmt nicht, sie hätten Coupeau nicht
gesehen. Sie böten nicht genug Gläschen an,
um Coupeau auf diese Weise zu sehen.
Gervaise überwand sich und fuhr stammelnd
fort:
»Er hatte mir nämlich versprochen,
heimzukommen ... Ja, er muß mir Geld
bringen ... Und da ich unbedingt etwas brauche
...«
Tiefes Schweigen herrschte. Frau Lorilleux
fachte heftig das Schmiedefeuer an, Lorilleux
hatte die Nase über das Stückchen Kette
gesenkt, das zwischen seinen Fingern länger
wurde, während Boche sein Vollmondlachen
beibehielt, das Loch des Mundes so rund, daß
man Lust verspürte, den Finger
hineinzustecken, um nachzusehen.
»Wenn ich bloß zehn Sous hätte«, murmelte
Gervaise mit leiser Stimme. Das Schweigen
dauerte an.
»Könnten Sie mir nicht zehn Sous leihen? –
Oh, ich würde sie Ihnen heute abend
wiedergeben!«
Frau Lorilleux drehte sich um und sah sie starr
an. So eine Kriecherin, die herkam, um sie zu
beschwatzen. Heute pumpte sie sie um zehn
Sous an, morgen würden es zwanzig sein, und
es gab keinen Grund mehr, damit aufzuhören.
Nein, nein, nichts da. Am Nimmerleinstag.
»Aber, meine Liebe«, rief sie, »Sie wissen
doch, daß wir kein Geld haben! Sehen Sie, da
ist das Futter meiner Tasche. Sie können uns
durchsuchen ... Wir würden es natürlich von
Herzen gern geben.«
»Das Herz ist immer bereit«, brummte
Lorilleux. »Bloß, wenn man nicht kann, kann
man nicht.«
Ganz demütig pflichtete ihnen Gervaise mit
einem Nicken bei. Sie ging allerdings nicht
fort, sie schielte verstohlen nach dem Gold
hin, nach den an der Wand hängenden
Bündeln Gold, nach dem Golddraht, den die
Frau mit der ganzen Kraft ihrer kleinen Arme
durch das Zieheisen zog, nach den
aufgehäuften goldenen Ösen unter den
knotigen Fingern des Ehemannes. Und sie
dachte, daß ein Stückchen dieses häßlichen,
schwärzlichen Metalls genügt hätte, um sich
ein gutes Abendessen zu leisten. An diesem
Tage mochte die Werkstatt noch so schmutzig
sein mit ihrem alten Eisenzeug, ihrem
Kohlenstaub, ihrer Schmierigkeit schlecht
abgewischter Öle, sie sah sie vor Reichtümern
erglänzen wie den Laden eines Geldwechslers.
Daher traute sie sich auch, leise zu
wiederholen:
»Ich würde sie Ihnen wiedergeben, ich würde
sie Ihnen bestimmt wiedergeben ... Zehn Sous,
das würde Ihnen keine Umstände machen.«
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