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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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starren Augen stehen.
    Na, wenn schon! Sollten sie sagen, was sie
    wollten, sie würde ihnen die Füße lecken,
    wenn sie es verlangten, aber sie ging hin, um
    von den Lorilleux zehn Sous zu borgen.
    Im Winter gab es auf diesem Aufgang des
    Hauses, dem Aufgang der armen Schlucker,
    ein ständiges Borgen von zehn Sous, von
    zwanzig Sous, kleine Gefälligkeiten, die diese
    Hungerleider einander erwiesen. Nur wäre
    man lieber gestorben, als sich an die Lorilleux
    zu wenden, weil man wußte, daß sie nur allzu
    ungern etwas herausrückten. Wenn Gervaise
    hinging und bei ihnen anklopfte, so bewies sie
    großen Mut. Auf dem Korridor hatte sie noch
    solche Angst, daß sie sich nun jäh erleichtert
    fühlte wie Leute, die beim Zahnarzt klingeln.
    »Herein!« rief die schrille Stimme des
    Kettenmachers.
    Wie angenehm es da drinnen war! Die
    Schmiede flammte und setzte die schmale
    Werkstatt mit ihrer weißen Flamme in Brand,
    während Frau Lorilleux einen Knäuel
    Golddraht abglühte. Lorilleux schwitzte an
    seinem Arbeitstisch, so warm war ihm beim
    Löten der Ösen mit dem Lötrohr. Und es roch
    gut, auf dem Ofen schmorte eine Kohlsuppe
    und strömte einen Dunst aus, der Gervaise den
    Magen umdrehte und sie fast ohnmächtig
    werden ließ.
    »Ach, Sie sind es«, brummte Frau Lorilleux,
    ohne ihr auch nur zu sagen, sie solle sich
    setzen. »Was wollen Sie denn?«
    Gervaise antwortete nicht. Sie stand sich in
    dieser Woche nicht allzu schlecht mit den
    Lorilleux. Aber die Bitte um die zehn Sous
    blieb ihr in der Kehle stecken, weil sie soeben
    Boche erblickt hatte, der breitspurig neben
    dem Ofen saß und im Begriff war,
    Klatschereien zu erzählen. Er sah aus, als
    könnten ihm die Leute den Buckel
    runterrutschen, dieses Rindvieh! Er lachte wie
    ein Arsch, mit dem gerundeten Loch des
    Mundes und den Backen, die so aufgeblasen
    waren, daß sie seine Nase verbargen; kurzum
    ein richtiger Arsch!
    »Was wollen Sie denn?« wiederholte
    Lorilleux.
    »Haben Sie Coupeau nicht gesehen?«
    stammelte Gervaise schließlich. »Ich glaubte,
    er wäre hier.«
    Die Kettenmacher und der Concierge grinsten.
    Nein, bestimmt nicht, sie hätten Coupeau nicht
    gesehen. Sie böten nicht genug Gläschen an,
    um Coupeau auf diese Weise zu sehen.
    Gervaise überwand sich und fuhr stammelnd
    fort:
    »Er hatte mir nämlich versprochen,
    heimzukommen ... Ja, er muß mir Geld
    bringen ... Und da ich unbedingt etwas brauche
    ...«
    Tiefes Schweigen herrschte. Frau Lorilleux
    fachte heftig das Schmiedefeuer an, Lorilleux
    hatte die Nase über das Stückchen Kette
    gesenkt, das zwischen seinen Fingern länger
    wurde, während Boche sein Vollmondlachen
    beibehielt, das Loch des Mundes so rund, daß
    man Lust verspürte, den Finger
    hineinzustecken, um nachzusehen.
    »Wenn ich bloß zehn Sous hätte«, murmelte
    Gervaise mit leiser Stimme. Das Schweigen
    dauerte an.
    »Könnten Sie mir nicht zehn Sous leihen? –
    Oh, ich würde sie Ihnen heute abend
    wiedergeben!«
    Frau Lorilleux drehte sich um und sah sie starr
    an. So eine Kriecherin, die herkam, um sie zu
    beschwatzen. Heute pumpte sie sie um zehn
    Sous an, morgen würden es zwanzig sein, und
    es gab keinen Grund mehr, damit aufzuhören.
    Nein, nein, nichts da. Am Nimmerleinstag.
    »Aber, meine Liebe«, rief sie, »Sie wissen
    doch, daß wir kein Geld haben! Sehen Sie, da
    ist das Futter meiner Tasche. Sie können uns
    durchsuchen ... Wir würden es natürlich von
    Herzen gern geben.«
    »Das Herz ist immer bereit«, brummte
    Lorilleux. »Bloß, wenn man nicht kann, kann
    man nicht.«
    Ganz demütig pflichtete ihnen Gervaise mit
    einem Nicken bei. Sie ging allerdings nicht
    fort, sie schielte verstohlen nach dem Gold
    hin, nach den an der Wand hängenden
    Bündeln Gold, nach dem Golddraht, den die
    Frau mit der ganzen Kraft ihrer kleinen Arme
    durch das Zieheisen zog, nach den
    aufgehäuften goldenen Ösen unter den
    knotigen Fingern des Ehemannes. Und sie
    dachte, daß ein Stückchen dieses häßlichen,
    schwärzlichen Metalls genügt hätte, um sich
    ein gutes Abendessen zu leisten. An diesem
    Tage mochte die Werkstatt noch so schmutzig
    sein mit ihrem alten Eisenzeug, ihrem
    Kohlenstaub, ihrer Schmierigkeit schlecht
    abgewischter Öle, sie sah sie vor Reichtümern
    erglänzen wie den Laden eines Geldwechslers.
    Daher traute sie sich auch, leise zu
    wiederholen:
    »Ich würde sie Ihnen wiedergeben, ich würde
    sie Ihnen bestimmt wiedergeben ... Zehn Sous,
    das würde Ihnen keine Umstände machen.«

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