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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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zur
    Obsthändlerin zu gehen und nachzusehen, ob
    getrocknete Birnen da seien. Sie spürte den
    Winter und wollte nicht vor dem erloschenen
    Ofen mit den Zähnen klappern. Die Coupeaus
    schimpften sie bloß ein Rindvieh, weil sie auf
    die Birnen warteten. Sie würde zweifellos
    zurückkehren; im vergangenen Winter war sie
    allerdings drei Wochen weggeblieben, als sie
    hinunterging, um für zwei Sous Tabak zu
    holen. Aber die Monate verflossen, und die
    Kleine tauchte nicht wieder auf. Diesmal
    mußte sie einen gewaltigen Galopp
    eingeschlagen haben. Als der Juni nahte, kam
    sie auch mit der Sonne nicht zurück. Es war
    ohne Frage vorbei, sie hatte irgendwo
    Weißbrot gefunden. Die Coupeaus verkauften
    eines Tages, als sie in der Klemme saßen, das
    eiserne Bett des Kindes für runde sechs
    Francs, die sie in SaintOuen vertranken. Das
    war ihnen im Wege, dieses Bett.
    Im Juli rief Virginie eines Morgens die
    vorübergehende Gervaise und bat sie, ihr beim
    Geschirrspülen behilflich zu sein, weil Lantier
    am Abend vorher zwei Freunde zum Bewirten
    mitgebracht hatte. Und als Gervaise das
    Geschirr abwusch, vom Freßgelage des
    Hutmachers schön fettiges Geschirr, rief
    dieser, der im Laden noch beim Verdauen war,
    auf einmal:
    »Wissen Sie was, Mutter! Neulich habe ich
    Nana gesehen.«
    Virginie, die angesichts der sich leerenden
    Bonbongläser und Schubladen mit
    sorgenvoller Miene am Ladentisch saß,
    schüttelte wütend den Kopf. Sie mußte an sich
    halten, um sich nicht allzusehr darüber
    auszulassen, denn das roch schließlich faul.
    Lantier sah Nana recht oft. Oh, sie hätte nicht
    die Hand für ihn ins Feuer gelegt, er war der
    Mann dazu, das Schlimmste zu tun, wenn ihm
    ein Rock im Kopf herumtrabte.
    Frau Lerat, die soeben hereingekommen war
    und die augenblicklich sehr befreundet war mit
    Virginie, deren vertrauliche Geständnisse sie
    entgegennahm, zog ihren Flunsch voller
    Anzüglichkeit und fragte:
    »In welchem Sinne haben Sie sie gesehen?«
    »Oh, in gutem Sinne«, antwortete der
    Hutmacher sehr geschmeichelt, wobei er
    lachte und seinen Schnurrbart zwirbelte. »Sie
    saß in einer Kutsche; und ich, ich bin auf dem
    Pflaster herumgepantscht ... Wirklich, ich
    schwör's Ihnen! Es war ja gar kein Grund
    vorhanden, es abzustreiten, denn die Söhne aus
    guter Familie, die dicke mit ihr befreundet
    sind, sind verdammt froh darüber!« Sein Blick
    hatte Feuer gefangen, er wandte sich zu
    Gervaise, die im Hintergrund des Ladens stand
    und dabei war, eine Schüssel abzutrocknen.
    »Ja, sie saß in einer Kutsche, und eine Toilette
    von einer Eleganz! Ich habe sie nicht erkannt,
    so sehr ähnelte sie einer Dame aus der
    vornehmen Gesellschaft mit den weißen
    Beißerchen in ihrem blütenfrischen Frätzchen.
    Sie war es, die mir mit dem Handschuh
    gewinkt und dabei hold zugelächelt hat ... Sie
    hat einen Vicomte aufgegabelt, glaube ich. Oh,
    die hat's geschafft! Der können wir alle den
    Buckel runterrutschen, sie hat Glück bis über
    beide Ohren, dieses Luder! – Ein allerliebstes
    Kätzchen! Nein, solch ein Kätzchen können
    Sie sich gar nicht vorstellen!«
    Gervaise trocknete immer noch ihre Schüssel
    ab, obwohl sie längst sauber und blank war.
    Virginie überlegte, sie war in Sorge wegen
    zweier Wechsel, die sie am nächsten Tage
    bezahlen mußte, und sie wußte nicht wie,
    während Lantier dick und fett den Zucker
    ausschwitzte, von dem er sich ernährte, und
    den Süßwarenladen, der bereits zu drei
    Vierteln durchgebracht war und in dem ein
    Geruch nach Verfall wehte, mit seiner
    Begeisterung für gut gekleidete kleine Dinger
    erfüllte. Ja, er brauchte nur noch ein paar
    gebrannte Mandeln zu knabbern und ein paar
    Stücke Gerstenzucker zu lutschen, um das
    Geschäft der Poissons wegzuputzen. Auf
    einmal gewahrte er auf dem
    gegenüberliegenden Bürgersteig den
    Polizisten, der Dienst hatte und der zugeknöpft
    vorüberging, wobei ihm der Säbel gegen den
    Schenkel schlug. Und das erheiterte ihn noch
    mehr. Er nötigte Virginie, nach ihrem Mann zu
    schauen.
    »Nanu«, murmelte er, »der macht ja heute früh
    ein schönes Gesicht, der Badinguet! –
    Aufgepaßt! Er kneift die Arschbacken zu sehr
    zusammen, er hat sich wohl irgendwo ein
    Glasauge einsetzen lassen, um seine Leute zu
    ertappen.«
    Als Gervaise wieder in ihre Wohnung
    hinaufging, fand sie Coupeau im Stumpfsinn
    eines seiner Anfälle auf dem Bettrand sitzend.
    Mit seinen erstorbenen Augen betrachtete er
    den Fliesenfußboden. Da setzte sie

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