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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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jedesmal gebrechlicher wurde, so daß
    man von Rückfall zu Rückfall den großen
    Sprung voraussehen konnte, das letzte
    Auseinanderkrachen dieses kranken Fasses,
    dessen Reifen einer nach dem anderen
    zerplatzten.
    Dabei wurde er nicht schöner; ein
    sehenswertes Gespenst! Das Gift setzte ihm
    derb zu. Sein alkoholgetränkter Körper
    schrumpfte zusammen wie ein Foetus, der
    beim Apotheker im Glase steht. Wenn er sich
    vor ein Fenster stellte, sah man das Tageslicht
    durch seine Rippen scheinen, so mager war er.
    Bei seinen eingefallenen Wangen und
    triefenden Augen, die genügend Wachs
    weinten, um eine Kathedrale mit Kerzen zu
    versorgen, behielt er nur seine schöne, rote,
    blühende Gurke, die mitten in seinem
    verwüsteten Vollmondgesicht einer Nelke
    glich. Diejenigen, die sein Alter kannten,
    nämlich volle vierzig Jahre, überlief ein
    leichter Schauder, wenn er gebeugt,
    schwankend vorüberging und alt aussah wie
    die Straßen. Und das Zittern seiner Hände
    nahm zu, vor allem seine rechte Hand
    trommelte dermaßen, daß er sein Glas an
    manchen Tagen in beide Fäuste nehmen
    mußte, um es an die Lippen zu führen. Oh,
    dieses gottverdammte Zittern! Es war das
    einzige, was ihn inmitten seiner allgemeinen
    Versumpftheit noch erboste. Man hörte ihn
    wilde Schimpfworte auf seine Hände knurren.
    Zuweilen sah man ihn stundenlang in
    Betrachtung seiner tanzenden Hände
    versunken, und er schaute zu, wie sie wie
    Frösche hüpften, sagte nichts, ärgerte sich
    nicht mehr, sah so aus, als forsche er, welcher
    innere Mechanismus sie wohl solche
    Spielchen machen ließ; und eines Abends hatte
    ihn Gervaise so gefunden mit zwei großen
    Tränen, die über seine ausgeglühten
    Säuferbacken rannen.
    Der letzte Sommer, in dem Nana die Reste
    ihrer Nächte bei ihren Eltern dahinschleppte,
    war besonders schlimm für Coupeau. Seine
    Stimme verwandelte sich völlig, als habe der
    blaue Zwirn eine neuartige Musik in seine
    Kehle eingesetzt. Auf einem Ohr wurde er
    taub. Ferner nahm seine Sehkraft in ein paar
    Tagen ab; er mußte sich am Treppengeländer
    festhalten, wenn er nicht hinunterpurzeln
    wollte. Was seine Gesundheit anbetraf, so lag
    sie brach, wie man sagt. Er hatte gräßliche
    Kopfschmerzen und Schwindelanfälle, bei
    denen ihm Funken vor den Augen tanzten. Mit
    einem Schlage befielen ihn stechende
    Schmerzen in Armen und Beinen; er wurde
    blaß, war gezwungen, sich zu setzen, und
    verweilte stumpfsinnig stundenlang auf einem
    Stuhl; nach einem dieser Anfälle war sein Arm
    sogar einen ganzen Tag gelähmt geblieben.
    Mehrere Male legte er sich zu Bett; er kroch in
    sich zusammen und verbarg sich mit dem
    heftigen und steten Atmen eines leidenden
    Tieres unter dem Laken. Alsdann begannen
    wieder die Verstiegenheiten von SainteAnne.
    Mißtrauisch, unruhig, von hitzigem Fieber
    gequält, wälzte er sich in Tobsuchtsanfällen
    umher, zerriß seine Kittel, biß mit seinem
    krampfhaft zuckenden Kiefer in die Möbel;
    oder er verfiel in tiefe Gerührtheit, gab Klagen
    von sich wie ein Mädchen, schluchzte und
    jammerte, daß er von niemandem geliebt
    werde. Eines Abends fanden ihn Gervaise und
    Nana, die zusammen heimkamen, nicht mehr
    in seinem Bett. An seiner Stelle hatte er die
    Kopfrolle hingelegt. Und als sie ihn, zwischen
    Bett und Wand verborgen, entdeckten,
    klapperte er mit den Zähnen und erzählte, es
    würden gleich Männer kommen, um ihn zu
    ermorden. Die beiden Frauen mußten ihn
    wieder ins Bett bringen und wie ein Kind
    beruhigen.
    Coupeau kannte nur eine Medizin: sich seine
    halbe Flasche Rattengift einzuverleiben, einen
    Stockschlag in den Magen, der ihn auf die
    Beine brachte. Alle Morgen kurierte er so sein
    schleimiges Erbrechen. Sein Gedächtnis war
    seit langem geschwunden, sein Schädel war
    leer; und kaum stand er wieder auf den Füßen,
    machte er sich über die Krankheit lustig. Er sei
    niemals krank gewesen. Ja, er war an dem
    Punkt angelangt, da man verreckt und dabei
    sagt, es gehe einem gut. Übrigens wurde er
    auch wieder kindisch, was alles andere anging.
    Kehrte Nana nach fast sechswöchigem
    Umherschweifen heim, so schien er zu
    glauben, sie käme von einer Besorgung im
    Viertel zurück. Oft traf sie ihn, wenn sie einen
    Herrn untergehakt hatte, und machte Witze,
    ohne daß er sie erkannte. Kurzum, er zählte
    nicht mehr; sie würde sich auf ihn gesetzt
    haben, wenn sie keinen Stuhl gefunden hätte.
    Bei den ersten Frösten machte sich Nana
    wieder einmal dünne unter dem Vorwand,

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