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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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bißchen
    herausgemausert hatte, verflüchtigte sie sich
    eines Morgens. Auf und davon, der Vogel war
    weg. Und Wochen, Monate verstrichen, sie
    schien verlorengegangen zu sein, da tauchte
    sie mit einemmal wieder auf, ohne jemals zu
    sagen, wo sie herkam, manchmal so dreckig,
    daß man sie nicht mit der Zange hätte anfassen
    mögen, und von oben bis unten am ganzen
    Leibe zerkratzt, zuweilen gut gekleidet, aber
    so schlaff und ausgeleert vom Flottmachen,
    daß sie sich nicht mehr auf den Beinen halten
    konnte. Die Eltern hatten sich daran gewöhnen
    müssen. Die Prügel halfen da nichts. Sie
    verwamsten sie, was sie nicht daran hinderte,
    ihr Zuhause als Herberge zu betrachten, wo
    man wochenweise schlief, Sie wußte, daß sie
    ihr Bett mit Keile bezahlte, sie ging mit sich zu
    Rate und kam, um die Keile
    entgegenzunehmen, wenn es von Nutzen für
    sie war. Im übrigen wird man des Schiagens
    müde. Die Coupeaus nahmen Nanas Streifzüge
    schließlich hin. Sie kam heim, kam nicht heim;
    wenn sie nur die Tür nicht offenließ, das
    genügte. Mein Gott, die Gewohnheit nutzt die
    Ehrbarkeit ebenso ab wie etwas anderes.
    Nur eins brachte Gervaise außer sich. Das
    nämlich, wenn ihre Tochter mit
    Schleppenkleidern und federbedeckten Hüten
    wiederauftauchte. Nein, diesen Luxus konnte
    sie nicht schlucken. Sollte Nana flottmachen,
    wenn sie wollte; aber wenn sie zu ihrer Mutter
    kam, so sollte sie sich wenigstens anziehen,
    wie eine Arbeiterin angezogen sein muß. Die
    Schleppenkleider bewirkten einen Aufruhr im
    Hause: die Lorilleux feixten; Lantier ging ganz
    aufgekratzt um die Kleine herum, um ihren
    Wohlgeruch zu schnüffeln; die Boches hatten
    Pauline verboten, mit dieser Nutte mit ihrem
    Flitterkram zu verkehren. Und Gervaise
    ärgerte sich gleichfalls über Nanas geradezu
    erdrückten Schlaf, wenn sie nach einem ihrer
    Ausflüge bis Mittag schlief, die Brust
    schamlos entblößt, den Haarknoten aufgelöst
    und noch voller Haarnadeln, so weiß, so leise
    atmend, daß sie tot zu sein schien. Sie rüttelte
    sie an die fünf oder sechsmal am Vormittag
    und drohte, ihr einen Topf Wasser auf den
    Bauch auszukippen. Diese faule, halbnackte,
    vor Laster ganz üppige schöne Dirne brachte
    sie hoch, wenn sie so ihren Liebesrausch, von
    dem ihr Fleisch geschwellt zu sein schien,
    ausschlief, ohne auch nur aufwachen zu
    können. Nana öffnete ein Auge, schloß es
    wieder und streckte sich noch mehr aus.
    Eines Tages führte Gervaise, die ihr
    unumwunden ihren Lebenswandel vorwarf
    und sie fragte, ob sie sich mit Rothosen100
    einlasse, da sie derart zerschlagen
    heimkomme, schließlich ihre Drohung aus und
    spritzte ihr mit der nassen Hand Wasser über
    den Leib.
    Wütend wickelte sich die Kleine in das Laken
    und schrie:
    »Jetzt ist's aber genug, nicht wahr, Mama?
    Reden wir nicht von den Männern, das ist
    besser. Du hast gemacht, was du wolltest, und
    ich mache, was ich will.«
    »Wie? Wie?« stammelte die Mutter.
    »Ja, ich habe nie mit dir darüber gesprochen,
    weil das mich nichts anging; aber du hast dir
    nicht gerade Zwang angetan, ich habe dich oft
    genug im Hemd und auf Strümpfen
    umherspazieren sehen, wenn Papa
    schnarchte ... Nun macht dir das keinen Spaß
    mehr, aber anderen macht das Spaß. Laß mich
    in Ruhe, du hättest mir nicht mit gutem
    Beispiel vorangehen sollen!«
    Gervaise würde blaß und ging mit zitternden
    Händen hin und her, ohne zu wissen, was sie
    tat, während Nana, die platt auf dem Busen
    lag, ihr Kopfkissen in die Arme schloß und in
    die Fühllosigkeit ihres bleiernen Schlafes
    zurücksank.
    Coupeau brummte, und es kam ihm nicht
    einmal mehr in den Sinn, Schläge auszuteilen.
    Er verlor völlig den Grips. Und man brauchte
    ihn wahrhaftig nicht einen Vater ohne Moral
    zu schimpfen, denn der Suff nahm ihm jedes
    Bewußtsein von Gut und Böse.
    Nun war alles geregelt. Er wurde ein halbes
    Jahr lang nicht nüchtern, dann fiel er um und
    wurde in SainteAnne eingeliefert; eine
    Landpartie für ihn. Die Lorilleux sagten, der
    Herr Herzog von Darmreißer begebe sich auf
    seine Güter. Nach einigen Wochen verließ er
    das Asyl repariert, wieder zusammengenagelt,
    und begann von vorn, sich zu zerrütten, bis zu
    dem Tage, da er wieder auf der Nase lag und
    abermals einer Instandsetzung bedurfte. In drei
    Jahren wurde er so siebenmal in SainteAnne
    eingeliefert. Im Viertel wurde erzählt, man
    halte ihm seine Zelle frei. Doch das Schlimme
    an der Geschichte war, daß dieser starrköpfige
    Säufer

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