Der Todschlaeger
bißchen
herausgemausert hatte, verflüchtigte sie sich
eines Morgens. Auf und davon, der Vogel war
weg. Und Wochen, Monate verstrichen, sie
schien verlorengegangen zu sein, da tauchte
sie mit einemmal wieder auf, ohne jemals zu
sagen, wo sie herkam, manchmal so dreckig,
daß man sie nicht mit der Zange hätte anfassen
mögen, und von oben bis unten am ganzen
Leibe zerkratzt, zuweilen gut gekleidet, aber
so schlaff und ausgeleert vom Flottmachen,
daß sie sich nicht mehr auf den Beinen halten
konnte. Die Eltern hatten sich daran gewöhnen
müssen. Die Prügel halfen da nichts. Sie
verwamsten sie, was sie nicht daran hinderte,
ihr Zuhause als Herberge zu betrachten, wo
man wochenweise schlief, Sie wußte, daß sie
ihr Bett mit Keile bezahlte, sie ging mit sich zu
Rate und kam, um die Keile
entgegenzunehmen, wenn es von Nutzen für
sie war. Im übrigen wird man des Schiagens
müde. Die Coupeaus nahmen Nanas Streifzüge
schließlich hin. Sie kam heim, kam nicht heim;
wenn sie nur die Tür nicht offenließ, das
genügte. Mein Gott, die Gewohnheit nutzt die
Ehrbarkeit ebenso ab wie etwas anderes.
Nur eins brachte Gervaise außer sich. Das
nämlich, wenn ihre Tochter mit
Schleppenkleidern und federbedeckten Hüten
wiederauftauchte. Nein, diesen Luxus konnte
sie nicht schlucken. Sollte Nana flottmachen,
wenn sie wollte; aber wenn sie zu ihrer Mutter
kam, so sollte sie sich wenigstens anziehen,
wie eine Arbeiterin angezogen sein muß. Die
Schleppenkleider bewirkten einen Aufruhr im
Hause: die Lorilleux feixten; Lantier ging ganz
aufgekratzt um die Kleine herum, um ihren
Wohlgeruch zu schnüffeln; die Boches hatten
Pauline verboten, mit dieser Nutte mit ihrem
Flitterkram zu verkehren. Und Gervaise
ärgerte sich gleichfalls über Nanas geradezu
erdrückten Schlaf, wenn sie nach einem ihrer
Ausflüge bis Mittag schlief, die Brust
schamlos entblößt, den Haarknoten aufgelöst
und noch voller Haarnadeln, so weiß, so leise
atmend, daß sie tot zu sein schien. Sie rüttelte
sie an die fünf oder sechsmal am Vormittag
und drohte, ihr einen Topf Wasser auf den
Bauch auszukippen. Diese faule, halbnackte,
vor Laster ganz üppige schöne Dirne brachte
sie hoch, wenn sie so ihren Liebesrausch, von
dem ihr Fleisch geschwellt zu sein schien,
ausschlief, ohne auch nur aufwachen zu
können. Nana öffnete ein Auge, schloß es
wieder und streckte sich noch mehr aus.
Eines Tages führte Gervaise, die ihr
unumwunden ihren Lebenswandel vorwarf
und sie fragte, ob sie sich mit Rothosen100
einlasse, da sie derart zerschlagen
heimkomme, schließlich ihre Drohung aus und
spritzte ihr mit der nassen Hand Wasser über
den Leib.
Wütend wickelte sich die Kleine in das Laken
und schrie:
»Jetzt ist's aber genug, nicht wahr, Mama?
Reden wir nicht von den Männern, das ist
besser. Du hast gemacht, was du wolltest, und
ich mache, was ich will.«
»Wie? Wie?« stammelte die Mutter.
»Ja, ich habe nie mit dir darüber gesprochen,
weil das mich nichts anging; aber du hast dir
nicht gerade Zwang angetan, ich habe dich oft
genug im Hemd und auf Strümpfen
umherspazieren sehen, wenn Papa
schnarchte ... Nun macht dir das keinen Spaß
mehr, aber anderen macht das Spaß. Laß mich
in Ruhe, du hättest mir nicht mit gutem
Beispiel vorangehen sollen!«
Gervaise würde blaß und ging mit zitternden
Händen hin und her, ohne zu wissen, was sie
tat, während Nana, die platt auf dem Busen
lag, ihr Kopfkissen in die Arme schloß und in
die Fühllosigkeit ihres bleiernen Schlafes
zurücksank.
Coupeau brummte, und es kam ihm nicht
einmal mehr in den Sinn, Schläge auszuteilen.
Er verlor völlig den Grips. Und man brauchte
ihn wahrhaftig nicht einen Vater ohne Moral
zu schimpfen, denn der Suff nahm ihm jedes
Bewußtsein von Gut und Böse.
Nun war alles geregelt. Er wurde ein halbes
Jahr lang nicht nüchtern, dann fiel er um und
wurde in SainteAnne eingeliefert; eine
Landpartie für ihn. Die Lorilleux sagten, der
Herr Herzog von Darmreißer begebe sich auf
seine Güter. Nach einigen Wochen verließ er
das Asyl repariert, wieder zusammengenagelt,
und begann von vorn, sich zu zerrütten, bis zu
dem Tage, da er wieder auf der Nase lag und
abermals einer Instandsetzung bedurfte. In drei
Jahren wurde er so siebenmal in SainteAnne
eingeliefert. Im Viertel wurde erzählt, man
halte ihm seine Zelle frei. Doch das Schlimme
an der Geschichte war, daß dieser starrköpfige
Säufer
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