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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Mörtelkästen tanzten, fuhren
    vorüber und zeigten ihre weißen Gesichter an
    den Kutschenschlägen. Maler balancierten ihre
    Farbtöpfe; ein Bauklempner brachte eine lange
    Leiter mit, mit der er den Leuten fast die
    Augen ausstieß, während ein verspäteter
    Brunnenbauer mit seinem Kasten auf dem
    Rücken auf seiner kleinen Trompete die Weise
    vom guten König Dagobert101 spielte, eine
    traurige Weise in der Tiefe der
    herzzerreißenden Dämmerung. Ach, diese
    traurige Musik, die das Stampfen der Herde,
    die abgehetzten, sich dahinschleppenden
    Lasttiere zu begleiten schien! Wieder mal ein
    Tag zu Ende! Wirklich, die Tage waren lang
    und begannen zu oft wieder von vorn. Kaum
    hatte man Zeit, sich vollzufüllen und sein
    Essen im Schlaf zu verdauen, da wurde es
    schon hellichter Tag, und man mußte sich
    wieder in das Elendsjoch spannen. Die fidelen
    Kerle jedoch pfiffen, stapften mit den Füßen,
    flitzten rasch davon, den Schnabel zur Suppe
    hingewandt.
    Und Gervaise ließ das Gewühl
    vorüberströmen, gleichgültig gegen die Stöße,
    wurde rechts mit dem Ellbogen angestoßen,
    links mit dem Ellbogen angestoßen, inmitten
    der Woge weitergewälzt, denn die Männer
    haben keine Zeit, sich galant zu zeigen, wenn
    sie vor Erschöpfung völlig zerschlagen sind
    und vom Hunger geritten werden.
    Als die Wäscherin hochsah, erblickte sie jäh
    das ehemalige Hotel Boncœur vor sich.
    Nachdem das anrüchige Haus ein
    zweifelhaftes Café gewesen war, das die
    Polizei geschlossen hatte, war es jetzt
    verlassen, die Fensterläden mit Plakaten
    bedeckt, die Laterne zerbrochen, und es
    zerbröckelte und verfaulte von oben bis unten
    im Regen mit den Schimmelflecken seines

gemeinen dunkelroten Gipsputzes. Und nichts
    schien in seiner Umgebung verändert. Der
    Papierwarenhändler und der Tabakladen waren
    immer noch da. Hinten gewahrte man über den
    niedrigen Bauten noch immer aussätzige
    Fassaden fünfstöckiger Häuser, die ihre großen
    verfallenen Silhouetten emporreckten. Allein
    das Tanzlokal »GrandBalcon« war nicht mehr
    vorhanden; in dem Saal mit den zehn
    flammenden Fenstern hatte sich vor kurzem
    eine Zuckersägerei niedergelassen, deren
    ständiges Zischen man hörte. Dort im Innern
    dieser Spelunke, im Hotel Boncœur, da hatte
    doch das ganze verdammte Leben angefangen.
    Sie blieb stehen und betrachtete das Fenster im
    ersten Stock, wo ein losgerissener
    Fensterladen herabhing, und sie erinnerte sich
    an ihre Jugend mit Lantier, an ihre ersten
    Zänkereien, an die widerliche Art und Weise,
    wie er sie im Stich gelassen hatte. Gleichviel,
    sie war ja jung gewesen, und aus der Ferne
    gesehen, kam ihr das alles heiter vor. Erst
    zwanzig Jahre her, mein Gott, und sie landete
    auf der Straße. Da wurde ihr schlecht beim
    Anblick des Hotels, und sie ging den
    Boulevard in Richtung Montmartre wieder
    hinauf.
    Auf den Sandhaufen zwischen den Bänken
    spielten noch Bengels in der zunehmenden
    Nacht. Der Vorbeimarsch hielt an, die
    Arbeiterinnen kamen vorüber, trabten, beeilten
    sich, um die an den Schaufenstern verlorene
    Zeit wieder einzuholen; eine große, die
    stehengeblieben war, ließ ihre Hand in der
    eines Burschen liegen, der sie begleitete, bis
    sie auf drei Türen an ihr Zuhause heran waren;
    andere

    verabredeten

    sich

    beim
    Auseinandergehen für die Nacht in den
    »Grand Salon de la Folie« oder in die
    »BouleNoire«. Inmitten der Gruppen kehrten
    Heimarbeiter zurück, ihre zusammengefalteten
    Einschlagetücher unter dem Arm. Ein
    Ofensetzer, der im Zugriemen eingespannt war
    und einen mit Schutt gefüllten Wägen zog,
    wäre beinahe von einem Omnibus überfahren
    worden. Unterdessen lief en in der dünner
    gewordenen Menge Frauen mit bloßem Kopf
    umher, die wieder heruntergekommen waren,
    nachdem sie Feuer gemacht hatten, und sich
    wegen des Abendessens beeilten; sie
    rempelten die Leute aii, stürzten zu den
    Bäckern und Fleischern und brachen mit ihren
    Einkäufen in den Händen wieder auf, ohne
    herumzutrödeln. Da waren kleine achtjährige
    Mädchen, die man einholen geschickt hatte
    und die an den Läden entlanggingen, große
    Vierpfundbrote an ihre Brust drückend, die so
    hoch waren wie sie und schönen, gelben
    Puppen glichen; sie vergaßen fünf Minuten
    lang die Zeit vor Bildern, die Wange an ihre
    großen Brote geschmiegt. Dann versiegte die
    Woge, die Gruppen wurden seltener, die
    Arbeit war heimgekehrt; und beim Flammen
    des Gaslichtes stieg nach beendetem Tagewerk
    die dumpfe

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