Der Todschlaeger
Mörtelkästen tanzten, fuhren
vorüber und zeigten ihre weißen Gesichter an
den Kutschenschlägen. Maler balancierten ihre
Farbtöpfe; ein Bauklempner brachte eine lange
Leiter mit, mit der er den Leuten fast die
Augen ausstieß, während ein verspäteter
Brunnenbauer mit seinem Kasten auf dem
Rücken auf seiner kleinen Trompete die Weise
vom guten König Dagobert101 spielte, eine
traurige Weise in der Tiefe der
herzzerreißenden Dämmerung. Ach, diese
traurige Musik, die das Stampfen der Herde,
die abgehetzten, sich dahinschleppenden
Lasttiere zu begleiten schien! Wieder mal ein
Tag zu Ende! Wirklich, die Tage waren lang
und begannen zu oft wieder von vorn. Kaum
hatte man Zeit, sich vollzufüllen und sein
Essen im Schlaf zu verdauen, da wurde es
schon hellichter Tag, und man mußte sich
wieder in das Elendsjoch spannen. Die fidelen
Kerle jedoch pfiffen, stapften mit den Füßen,
flitzten rasch davon, den Schnabel zur Suppe
hingewandt.
Und Gervaise ließ das Gewühl
vorüberströmen, gleichgültig gegen die Stöße,
wurde rechts mit dem Ellbogen angestoßen,
links mit dem Ellbogen angestoßen, inmitten
der Woge weitergewälzt, denn die Männer
haben keine Zeit, sich galant zu zeigen, wenn
sie vor Erschöpfung völlig zerschlagen sind
und vom Hunger geritten werden.
Als die Wäscherin hochsah, erblickte sie jäh
das ehemalige Hotel Boncœur vor sich.
Nachdem das anrüchige Haus ein
zweifelhaftes Café gewesen war, das die
Polizei geschlossen hatte, war es jetzt
verlassen, die Fensterläden mit Plakaten
bedeckt, die Laterne zerbrochen, und es
zerbröckelte und verfaulte von oben bis unten
im Regen mit den Schimmelflecken seines
gemeinen dunkelroten Gipsputzes. Und nichts
schien in seiner Umgebung verändert. Der
Papierwarenhändler und der Tabakladen waren
immer noch da. Hinten gewahrte man über den
niedrigen Bauten noch immer aussätzige
Fassaden fünfstöckiger Häuser, die ihre großen
verfallenen Silhouetten emporreckten. Allein
das Tanzlokal »GrandBalcon« war nicht mehr
vorhanden; in dem Saal mit den zehn
flammenden Fenstern hatte sich vor kurzem
eine Zuckersägerei niedergelassen, deren
ständiges Zischen man hörte. Dort im Innern
dieser Spelunke, im Hotel Boncœur, da hatte
doch das ganze verdammte Leben angefangen.
Sie blieb stehen und betrachtete das Fenster im
ersten Stock, wo ein losgerissener
Fensterladen herabhing, und sie erinnerte sich
an ihre Jugend mit Lantier, an ihre ersten
Zänkereien, an die widerliche Art und Weise,
wie er sie im Stich gelassen hatte. Gleichviel,
sie war ja jung gewesen, und aus der Ferne
gesehen, kam ihr das alles heiter vor. Erst
zwanzig Jahre her, mein Gott, und sie landete
auf der Straße. Da wurde ihr schlecht beim
Anblick des Hotels, und sie ging den
Boulevard in Richtung Montmartre wieder
hinauf.
Auf den Sandhaufen zwischen den Bänken
spielten noch Bengels in der zunehmenden
Nacht. Der Vorbeimarsch hielt an, die
Arbeiterinnen kamen vorüber, trabten, beeilten
sich, um die an den Schaufenstern verlorene
Zeit wieder einzuholen; eine große, die
stehengeblieben war, ließ ihre Hand in der
eines Burschen liegen, der sie begleitete, bis
sie auf drei Türen an ihr Zuhause heran waren;
andere
verabredeten
sich
beim
Auseinandergehen für die Nacht in den
»Grand Salon de la Folie« oder in die
»BouleNoire«. Inmitten der Gruppen kehrten
Heimarbeiter zurück, ihre zusammengefalteten
Einschlagetücher unter dem Arm. Ein
Ofensetzer, der im Zugriemen eingespannt war
und einen mit Schutt gefüllten Wägen zog,
wäre beinahe von einem Omnibus überfahren
worden. Unterdessen lief en in der dünner
gewordenen Menge Frauen mit bloßem Kopf
umher, die wieder heruntergekommen waren,
nachdem sie Feuer gemacht hatten, und sich
wegen des Abendessens beeilten; sie
rempelten die Leute aii, stürzten zu den
Bäckern und Fleischern und brachen mit ihren
Einkäufen in den Händen wieder auf, ohne
herumzutrödeln. Da waren kleine achtjährige
Mädchen, die man einholen geschickt hatte
und die an den Läden entlanggingen, große
Vierpfundbrote an ihre Brust drückend, die so
hoch waren wie sie und schönen, gelben
Puppen glichen; sie vergaßen fünf Minuten
lang die Zeit vor Bildern, die Wange an ihre
großen Brote geschmiegt. Dann versiegte die
Woge, die Gruppen wurden seltener, die
Arbeit war heimgekehrt; und beim Flammen
des Gaslichtes stieg nach beendetem Tagewerk
die dumpfe
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